TÄGLICH NEHMEN WIR ABSCHIED

von Editha Kentrup-Bentzien
Wenn mir vor über 30 Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal als Bestatterin arbeiten würde, dann hätte ich ihn wahrscheinlich ausgelacht. Ich war glücklich und zufrieden mit meiner Tätigkeit als Verwaltungsangestellte in der Ausländerbehörde der Stadt Dortmund.
Aber wie das Leben so spielt, kurze Zeit darauf, im Februar 1992, übernahm mein damaliger Ehemann eine Schreinerei, die auch Bestattungen anbot, und somit wurde meine Mithilfe erwartet. Meinem Gefühl nach zunächst etwas hilflos, fand ich mich in den ersten Beratungsgesprächen mit den Angehörigen wieder, aber stellte ganz schnell fest: Ich war ja gar nicht so hilflos, wie ich dachte. Und noch etwas stellte ich ganz schnell fest: Diese Tätigkeit war meine Berufung! Ich konnte helfen, ich konnte trösten, ich konnte Trauernden beistehen!
Aber wenn ich etwas mache, dann möchte ich es auch unbedingt richtig machen, und so begann ich mit meinen zahlreichen Aus- und Fortbildungen. U. a. die Ausbildung zur Trauerrednerin, Fortbildung zur Trauerbegleiterin, Fortbildung „Trauer nach Suizid“ etc. …, z. Zt. befinde ich mich in der Ausbildung Notfallseelsorge im Ehrenamt.
Auf einer meiner Fortbildungen für Trauerpsychologie an der Uni Regensburg im Jahr 2000 lernte ich meinen jetzigen Ehemann kennen und so zog ich im Jahr 2001 von Dortmund nach Bonn. Gemeinsam führen wir ein Bestattungshaus in Bonn und ich konnte meine Tätigkeit als Bestatterin und Trauerbegleiterin weiterführen.
Mit meiner Tätigkeit als Trauerbegleiterin möchte ich den Trauernden zeigen, wie Trauerarbeit erfolgreich geleistet werden kann.
Was aber versteht man unter Trauer?
Trauer ist eine gesunde und lebenswichtige Reaktion unseres Körpers auf einen Verlust. Sie hat viele Gesichter und wird individuell ganz unterschiedlich erlebt und gestaltet.
Vor allem aber braucht die Trauer Zeit.
Jeder Mensch macht im Laufe seines Lebens schmerzhafte Erfahrungen, die Verlust bedeuten oder Trennung. Es gibt viele Möglichkeiten auf diese Lebenssituationen zu reagieren, aber bei allen lässt sich ein Grundgefühl erkennen: die Trauer.
Es gibt viele Formen des Traurigseins, und meist können wir auch gut damit umgehen. Verlust, Trennung, Abschied und insbesondere der Tod sind jedoch Gegebenheiten, mit denen einige Menschen nur schwer umgehen können. Manche geraten in eine Trauerkrise und stehen dem Schmerz hilflos gegenüber.
Tod und Abschied berühren immer wieder unser Leben und lassen uns innehalten. Oft sind wir nur Zuschauer und erleben den Schmerz nicht direkt am eigenen Leib. Dann jedoch, wenn ein geliebter Mensch stirbt, trifft es uns ganz persönlich, ganz direkt und kann manchmal zu einer dramatischen Erfahrung werden. Der Tod eines Nahestehenden kann die Grundfesten der eigenen Existenz erschüttern, das Verständnis von der Ordnung im Leben und in der Welt auf den Kopf stellen. Er kann uns an die Grenzen der Belastbarkeit bringen und nur mit Mühe wird eine Neuorientierung im Leben möglich sein. Durch den Tod eines geliebten Menschen wird aus dem Wissen um Tod eine Erfahrung von Tod.
Es tut weh, einen geliebten Menschen loszulassen. Es fällt uns schwer, anzunehmen, dass wir endlich sind. Aber alle Menschen müssen sterben, ohne Ausnahme. Nur wer dazu ein offenes Ja findet, kann Trost, Hilfe und auch Leben annehmen.
Und deshalb ist es in dieser Zeitspanne – vom Tod eines geliebten Menschen bis hin zur Neuorientierung des eigenen Lebens – wichtig, einen anderen Menschen als Begleitperson zu haben. Oft findet man diese Person in der eigenen Familie oder im Freundeskreis. Trauerbegleitung ist nicht etwas, was ausschließlich professionellen Helfern vorbehalten bleibt. Trauerbegleitung wird für jeden Menschen im Laufe seines Lebens zu einer speziellen Beziehungsaufgabe und betrifft somit alle! In jedem von uns steckt die Fähigkeit, Trauernden beizustehen.
Im folgenden möchte ich einige Anregungen und Anhaltspunkte für eine Trauerbegleitung geben:
Das sollten Trauernde und Begleiter wissen:
- Trauer gehört zu unserem Leben
- Trauer ist keine Krankheit
- Trauer ist eine lebenswichtige Reaktion
- Trauer ist eine spontane, natürliche, normale Reaktion unserer ganzen Person auf Verlust, Abschied und Trennung
- Trauer ist die Möglichkeit, gesund Abschied zu nehmen
- Trauer erfasst den ganzen Menschen und berührt alle seine Lebensbereiche
- Trauer wird individuell ganz unterschiedlich erlebt und gestaltet
- Trauer hat viele Gesichter
In der Zwischenzeit gibt es viele professionelle Trauerbegleiter*innen. Angebote bestehen z. B. über die Kirchengemeinden oder Hospize. In der Einzelbegleitung, aber auch in Trauergruppen finden betroffene Menschen einen ganzheitlichen Zugang zur Trauer und Trauerarbeit wie z. B. durch Unterstützung der Körperwahrnehmung, Unterstützung der persönlichen, kreativen Ausdrucksmöglichkeiten wie z. B. Malen, Schreiben, Musizieren etc. oder Unterstützung des Trauerflusses („heilende Kraft der Tränen“). Trauernde haben die Möglichkeit ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken und werden dabei unterstützt, ihre eigenen Trauerrituale zu finden. Es wird eine Hilfestellung gegeben, das Gedanken- und Gefühlschaos zu ordnen. Wichtig für die Tätigkeit als Trauerbegleiter*in ist allerdings ein aktives, engagiertes Dasein für Trauernde sowie die Anerkennung und Bejahung der trauernden Person in ihrer Situation. Die Tiefe ihres Trauerschmerzes muss anerkannt und hinter der Klage das Ausmaß des Schmerzes erkannt werden, welches oft nicht in Worte gefasst werden kann. Keinesfalls darf vertröstet werden, statt Trost zu spenden.
Eine Hilfe, um den Verlust zu begreifen ist die offene Abschiednahme, d. h. den Verstorbenen noch einmal zu sehen. Durch das Wahrnehmen und auch durch das Anfassen hat man die Möglichkeit den Tod zu realisieren.
Einige Anregungen für den Umgang mit Trauernden:
- Trauernde nicht allein lassen! (Nachbarn, Notfallseelsorge, evtl. Arzt rufen)
- Hilfestellung geben bei der Regelung, die im Zusammenhang mit dem Todesfall stehen
- Trauernde in ihren Reaktionen nicht bevormunden (nicht weinen, hat ja nicht gelitten, nicht aufregen etc. …)
- Aushalten aller Gefühle des Trauernden
- Wärme und Mitgefühl vermitteln
- Probleme aussprechen lassen
- Schuldgefühle nicht ausreden, aber auch keinesfalls bekräftigen, sondern einfach zur Kenntnis nehmen.
- Eigene Geschichten zurückhalten
- Keine Interpretationen oder wertende Stellungnahmen vornehmen
- Zuhören und Geduld
- Dafür sorgen, dass Trauernde essen und trinken
Aber nicht nur der Verlust eines Menschen durch den Tod ist Grund zum Trauern. Täglich nehmen wir Abschied: Wir trennen uns von unseren Kindern, wenn sie alt genug sind, wir trennen uns von Lebensphasen, von Arbeitsstellen, von Wohnungen, von Idealen und oftmals trauern wir auch um den Verlust unserer Gesundheit. Jede Trennung und jeder Verlust erfordert Trauerarbeit.
Ebenfalls eine Bedeutung hat hierbei auch das Trauern um Beziehungen, die zerbrochen sind. Hierbei geht es nicht um die Trennung durch den Tod, der ja durch „Schicksal“ bestimmt wird, sondern um eine Trennung durch einen (oft einseitigen) Entschluss. Und zwar den der Scheidung oder der Auflösung der Partnerschaft.
Trauer ist eine Emotion der Wandlung. Wenn wir einen geliebten Menschen durch den Tod verloren haben, akzeptieren wir, dass wir trauern müssen. Ebenso gesteht uns die Umwelt dann eine Schonfrist zu. Aber wie sieht das bei einer Trennung oder Scheidung aus? Vor allem steht auch die Frage, ob wir selbst es wagen, uns diese Zeit der Trauer zu nehmen?
Eine Scheidung oder Trennung einer Partnerschaft ist ein sehr schmerzlicher und auch oft ein lang andauernder Prozess. Zunächst rechtlich, praktisch, aber auch emotional. Und da oft nur die praktischen Dinge, wie Änderung der aktuellen Regelungen und Standards, Auswirkungen auf die Kinder etc. gesehen werden, wird die Trauer nicht gesehen.
Insofern sieht man nur die Veränderungen, welche die Scheidung dann im familiären System auslöst. Und der Trennungsschmerz ist deshalb nur so schwer zu verarbeiten, weil er zumindest für einige Personen aus diesem System plötzlich und unerwartet auftritt und dann auch noch aus ihrer Sicht unerklärlich erscheint. Daher lässt sich eine zerbrochene Paarbeziehung nicht endgültig durch den juristischen Akt der Scheidung beenden, sondern sie muss auch durch eine sogenannte „psychologische Scheidung“ erweitert werden, die natürlich für die Betroffenen beschwerlich, anstrengend und schmerzvoll ist.
Auch hier ist also die komplette Gefühlsskala möglich wie unter anderem: Wut, Verzweiflung, Ohnmacht, Zorn Traurigkeit, Angst und auch Schuldgefühle.
Ich werde oft gefragt, wie ich mit so viel Tod und Trauer umgehen kann, wie ich mich selbst schütze. Wichtig für mich ist, dass ich diesen Beruf gemeinsam mit meinem Ehemann ausführe und wir in vielen Gesprächen auch traurige Begebenheiten verarbeiten können. Drei unserer fünf Kinder haben inzwischen auch den Bestattungsberuf ergriffen, sind wahrscheinlich von uns infiziert worden 😉
Natürlich sind auch die vielen Spaziergänge, die wir mit unserem Hund „Tucker“ und früher mit unsere Hündin „Lara“ gemacht haben, hilfreich, um den Kopf frei zu bekommen.
Das Wichtigste aber hat mal ein befreundeter Notfallseelsorger zu mir gesagt, was auch zu 100 Prozent auf mich zutrifft:
„Unsere Arbeit können wir nur durchführen, weil wir die Menschen lieben.
Man muss die Menschen lieben, um unsere Arbeit zu machen!“.
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht im Buch „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”.
