FLAMARIUM

Interview mit Frank Pasic und Michael Kriebel

von Sandra Strauß

Foto: Frank Pasic (li.) und Michael Kriebel (re.),
fotografiert von Katrin Lantzsch

Frank Pasic und Michael Kriebel sind die beiden Geschäftsführer der Flamarium Saalkreis GmbH & Co. KG. Die Gesellschaft ist die Betreiberin einer ganzheitlichen Feuerbestattungseinrichtung in der Mitte Deutschlands. In den beiden Häusern in Kabelsketal und Halle wird eine moderne Bestattungskultur gelebt, bei der von der Abschiednahme über die Einäscherung und Trauerfeier bis zur Beisetzung alles an einem Ort stattfinden kann. Dabei stehen die Würde der Verstorbenen und der Angehörigen an erster Stelle.

Sandra: Wie ist eure Arbeitsaufteilung? Und wie kann man sich euren Alltag vorstellen?

Frank: Unser Alltag unterscheidet sich sicherlich nicht großartig von dem anderer Menschen. Wir kommen morgens um 7:30 Uhr in die Firma und fahren um 16:00 Uhr wieder heim. Allerdings schalten wir beide nie so richtig ab, telefonieren auch schon mal nach 21:00 Uhr oder am Wochenende, wenn etwas Wichtiges anliegt.

Micha ist bei uns für die Technik zuständig. Er sorgt dafür, dass die fünf Einäscherungsöfen immer auf dem neuesten Stand sind und funktionieren. Ich bin mehr für die administrativen Angelegenheiten zuständig. Das Thema Bestattungs- und Endlichkeitskultur liegt uns beiden sehr am Herzen, darum kümmern wir uns gemeinschaftlich.

 Michael: Das ist so.

Sandra: War es schon in eurer Jugend euer Berufswunsch, zwei Krematorien zu leiten? Oder haben es die Umstände ergeben? Wie seid ihr zu eurer Aufgabe gekommen?

Frank: Sicherlich hat niemand schon als Jugendlicher diesen Berufswunsch. Ich denke, 99 % derjenigen, die in dieser Branche arbeiten, haben vorher etwas anderes gemacht, sind sozusagen „Quereinsteiger“. Ich beispielsweise habe Jura studiert, wollte Rechtsanwalt werden. Spät – sehr spät – habe ich gemerkt, dass mir dieser Beruf keine Erfüllung bringen wird. Meinem Schwiegervater habe ich es zu verdanken, dass ich heute das Flamarium leiten darf. Er ist bereits 1990 in die Feuerbestattung eingestiegen, war so etwas wie ein Pionier der heutigen Feuerbestattungskultur. Ich habe diese Aufgabe gerne von ihm übernommen, sie bringt mir heute die Erfüllung, nach der ich damals gesucht habe.

Michael: Als Kind hat man, wenn man selbst nicht aus einer Bestatterfamilie kommt, nicht die Ambitionen im Umfeld der Bestattung arbeiten zu wollen. Dies hängt sicher mit der Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft insgesamt als auch mit Tod als solches zusammen. Es ist für viele Menschen nicht einfach, die Endlichkeit des eigenen Lebens zu (be-)greifen. Wie sollten sie dann mit dem toten Körper eines anderen umgehen?

Die allermeisten meiner beruflichen Wegbegleiter sind Quereinsteiger in die Bestattungsbranche. Im Bereich Krematorium erst recht, zumal es für diesen Tätigkeitsbereich keine explizierte Berufsausbildung gibt. Durch die neuen technischen Herausforderungen nach der politischen Wende in der DDR hat sich für mich ein Wechsel in den Bereich eines Krematoriums ergeben. In dem damaligen neuen Krematorium auf dem Gertraudenfriedhof in Halle (Saale) wurden zwei Einäscherungslinien mit komplexen SPS-Steuerungen eingebaut. Hieraus ergab sich für mich als Elektroinstallateur ein Angebot, mich beruflich zu verändern und in den Kremationsbereich zu wechseln. Das war 1996. Bis heute sind diese Einäscherungsöfen, die nur unter sehr strengen Umweltauflagen betrieben werden dürfen, meine große Leidenschaft und tagtägliche Herausforderung. 

Sandra: Ist eure Arbeit eure Leidenschaft?

Frank: Auf jeden Fall!

Michael: Klares und eindeutiges Ja und Erfüllung.

Sandra: Wie fühlt es sich an, jeden Tag inmitten von Särgen, toten Menschen, leblosen und verwesenden Körpern und Verbrennungsöfen zu arbeiten und zu leben?

Frank: Entschuldige, aber deine Frage suggeriert ein völlig falsches Bild von unserer Arbeit. Wer schon einmal bei uns im Flamarium war – vor der Pandemie hatten wir regelmäßig Besuch von (Berufs-)Schulklassen, Palliativpflegern, Hospizen etc. –, kann bestätigen, dass es bei uns überhaupt nicht wie in einem Horrorkabinett aussieht. Die Verstorbenen werden von den Bestattern im Sarg zu uns gebracht, wurden im Vorfeld hygienisch versorgt. Das Einzige, was wir sehen, sind also Särge. Das kann dann deprimieren, wenn es sehr viele Särge sind. Das war in der Hochphase der 2. Corona-Welle – also von Dezember 2020 bis März 2021 – der Fall.

Michael: Es stimmt, hier muss im Kopf eines jeden Mitarbeiters eine klare emotionale Grenze gezogen werden. Wir benötigen für unsere Arbeit einen gesunden Abstand zu jedem einzelnen Sterbefall. Zum einen sind wir nicht schuld am Tot der verstorbenen Person. Gleichwohl wissen wir, dass es zu jedem Sterbefall in der Regel mindestens ein Trauerhaus gibt, in dem die verstorbene Person einen leeren Platz hinterlässt. Deshalb ist es unsere Aufgabe, durch klare transparente Strukturen sicherzustellen, dass die Würde der verstorbenen Person im Einklang mit unseren technischen Abläufen steht. Deshalb, so wie es Frank bereits ausführt, führen wir sehr gern angehende Fachkräfte aus den klinischen, gesundheitlichen Fürsorgebereichen durch unser Haus. Unser Ansinnen ist dabei, diesen Menschen gute Argumentationen mit in die Hand zu geben, wenn diese den Angehörigen erklären müssen, welchen Weg jetzt ihr geliebter Mensch vor sich hat.

Illustration: Schwarwel
„Herr Tod und Frau Leben“ für Flamarium

Sandra: Macht ihr selbst Supervisionen für euch und eure Mitarbeiter:innen und/oder holt ihr euch für die psychische Gesundheit und den Umgang mit dem Tod therapeutische Beratung und Hilfe? Oder ist das gar nicht notwendig?

Frank: Bisher war das nicht notwendig. Wir kommunizieren im Unternehmen sehr viel miteinander, haben regelmäßig Dienstbesprechungen. Die Pausen verbringen die Kolleg:innen nie allein, sie tauschen sich dort aus. Auch wenn man es nicht glauben will: Bei uns wird sehr viel gelacht – bei allem Respekt, den wir bei unserer Tätigkeit aufbringen müssen.

Michael: Frank sagt dazu alles.

Sandra: Welche Fähigkeiten muss man für solch eine Arbeit mitbringen?

Frank: Es ist eben doch kein „Job wie jeder andere“. Diese Formulierung hören wir praktisch immer, wenn uns ein Bewerber auf eine Stelle in unserem Haus gegenübersitzt. Vor einer Einstellung laden wir daher jeden Bewerber ein, zunächst einmal mindestens zwei Tage ein Probepraktikum bei uns zu absolvieren. Wichtig ist, dass eine Nacht dazwischenliegt. Denn in der Nacht kommen die Gedanken. Es ist uns schon sehr oft passiert, dass gestandene Männer – 1,90 m groß, über 100 kg schwer – am zweiten Tag morgens angerufen und gesagt haben: „Tut mir leid, ich kann das nicht machen.“ Was ich damit sagen will: Jeder, der bei uns arbeitet, muss reflektieren, was er da tut. Wer das nicht kann, dem fehlt die wichtigste Eigenschaft: Empathie.

Michael: Empathie und die eigene Fähigkeit, Schmerz und die Verlusterfahrung anderer zu erkennen und manchmal auch auszuhalten.

Sandra: Falls ihr darüber erzählen dürft: Was waren einschneidende und schlimme Ereignisse bei eurer Arbeit, die ihr erlebt habt und euch (emotional) beschäftigt haben?

Frank: Einschneidend war sicherlich die zweite Corona-Welle. Wir können in unseren beiden Einrichtungen zusammen täglich 90 Verstorbene einäschern. Wenn du aber jeden Tag 100, 120 oder noch mehr Verstorbene ins Haus bekommst, kann tatsächlich das Gefühl der Überforderung aufkommen. Hier hat sich gezeigt, dass wir ein starkes Team sind. Gemeinsam haben wir diese schwierige Aufgabe bewältigt. Ob es bei dem ein oder anderen Nachwirkungen gibt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Michael: Ja, die Monate Dezember 2020 bis März 2021 waren schon eine sehr besondere Situation für die Mitarbeiter, die Technik sowie Frank und mich. Irgendwie mussten wir versuchen, alle und alles gleichwertig unter einen „Hut“ zu bekommen. Die (Dauer-)Belastung der Mitarbeiter war das eine, aber auch die Technik, die wir jetzt so dringend brauchten, sollte nicht nur technisch durchhalten, sondern musste selbstverständlich auch in diesem genannten Zeitfenster gewartet, gereinigt und vorbeugend instand gehalten werden. Aber es gibt auch andere Momente, in denen es Ereignisse gibt, mit welchen man eben nicht so einfach zur Tagesordnung übergeht. Sei es der Autounfall, bei dem zeitgleich mehrere Personen ihr Leben verlieren, oder ein missglückter Fallschirmsprung, bei dem nicht nur der Sportler selbst verstirbt, sondern auch Unbeteiligte zu Schaden gekommen sind.

Sandra: Hat die Corona-Pandemie eure Arbeit verändert? Gab es bisher während der Pandemie-Situation Zeiten, in denen sich bei euch die Särge gestapelt haben, wie man es aus der Berichterstattung kennt?

Frank: Hierauf habe ich ja weitestgehend schon geantwortet. Nur noch so viel: Die Bilder, die in den Medien kursierten, stammten fast ausnahmslos aus einem einzigen Krematorium in Sachsen. In anderen Einrichtungen – auch bei uns – sah es bei weitem nicht so aus. Richtig ist, dass wir teilweise improvisieren mussten. Da wurden z. B. Feierhallen oder Aufenthaltsräume zu Stellflächen für Särge umfunktioniert. Da es nachts so kalt war, war das alles auch überhaupt kein hygienisches Problem.

Michael: Corona hat nicht unsere Arbeit verändert. Corona hat Abläufe in unserem täglichen Tun verändert. Wir als Feuerbestatter können im Großen und Ganzen gut mit dieser Pandemie umgehen, denn außer Corona gibt es viele weitere Infektionskrankheiten in Zusammenhang mit verstorbenen Personen, mit welchen man sich wirklich nicht anstecken möchte, z. B.: MRSA, offenen Wundbrand, offene TBC, HIV etc. Deshalb hatten wir auch vor Corona bereits Hygienepläne und entsprechend gelebte Sicherheitsstandards in unseren Häusern. Mit Corona haben wir diese Standards an das neue Virus und seine möglichen Übertragungswege weiterentwickelt und als allgemeinverbindlich in unseren Häusern eingeführt.

Sandra: Fällt es euch selbst leichter, mit dem Sterben und dem Tod umzugehen?

Frank: Wir gehen vielleicht etwas gelassener mit dem Thema um als andere. Aber eines kann ich aus eigener Erfahrung versichern: Wenn ein geliebter Mensch stirbt, trifft uns der Schmerz und die Trauer genauso unvorbereitet und ebenso hart wie jeden anderen Menschen auch.

Michael: Ja, wir gehen ganz sicher mit dem Tod anders um, weil er in unseren Häusern allgegenwärtig ist und jedem von uns somit auch an jedem Arbeitstag die eigene Endlichkeit aufgezeigt wird. Dies hat aber auch den charmanten Vorteil: Wer um seine Endlichkeit weiß, kann sein Leben besser gestalten. Kommt aber der Tag, dass auch in unserem Familien- oder Freundeskreis ein Sterbefall eintritt, sind wir von dieser Verlusterfahrung genauso emotional gebunden und ihr ausgeliefert wie jeder andere trauernde Mensch auch.

Fazit: Wir sind ganz normale Menschen, auch wenn wir es aufgrund unserer täglichen Arbeit mit verstorbenen Personen in einem Krematorium zu tun haben.

Dieses Interview wurde erstveröffentlicht im Buch „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”.