#nichtgesellschaftsfähig TodVerlustTrauerunddasLeben (Outro zum gleichnamigen Buch)

von Sandra Strauß
Heute ist der 30. Juni 2022. Heute ist unsere Buch-Deadline. Heute ist meine Omi Ilse mit 88 gestorben.
Während unserer 1,5 Jahre andauernden Buch-Produktion sind unser Husky Amarog und unsere Omi Ilse gestorben. Mein Vati Armin bekam währenddessen im vergangenen April eine Tumor-Diagnose mit anschließender OP und gleichzeitig anschließender Krebs-Diagnose. Die Chancen standen 20:80. Drei Ärzte sagten ihm, wenn er nicht alles tut, was für seine Genesung erforderlich ist, wird seine Familie ohne ihn Weihnachten feiern. Wir haben Weihnachten mit ihm gefeiert. Vati hatte am 24.12. zwar schreckliche Zahnschmerzen. Doch das war egal. Er war da und genesen und das ist er immer noch.
Vor unserer Buch-Produktion und all diesen Ereignissen habe ich mich nicht mit dem Thema Tod, Sterben und Trauer auseinandergesetzt. Oder mit Krankheit. Wir als Familie haben es verdrängt, weil wir damit nicht klargekommen sind. So bin ich und so sind wir aufgewachsen. Beispielsweise haben weder meine Mutti noch mein Vati noch meine Omi oder ich selbst den Tod meines Opi Heinz, der ganz plötzlich von jetzt auf gleich unvorbereitet für alle verstarb, als ich 17 war, verarbeitet. Ich habe meinen Opi so sehr geliebt, wir haben seit meiner Kindheit durchweg unendlich viel Zeit miteinander verbracht, er hat mir unglaublich viel gelehrt. Und ganz plötzlich war er nicht mehr da und ich konnte mich nicht verabschieden. Ich habe diesen Verlust nie überwunden, habe auch nicht trauern können.
Meine Mutti schreibt in diesem Buch über den Tod meines Opis, ihres Vatis. Ich schreibe über meinen Verlust von Amarog, den ich bis heute ebenso nicht mal im Ansatz überwunden habe. Um klarzukommen, habe ich meine erlernten Skills angewendet, und ich hatte während 1,5 Jahren Pflege Zeit vorwegzutrauern und mir zu überlegen, wie ich es nach Amarogs Verlust jeden Tag schaffen werde, aufzustehen, mir die Zähne zu putzen und meinen Tag zu überstehen. Für die Anfangszeit war es nur ein Tag-Überdauern und keineswegs ein -Gestalten. Ich bin Wochen später auch in eine (für meine Begriffe leichte) Depression gerutscht. Als mir das bewusst wurde, waren schon einige Monate seit dem Tod von Amarog vergangen und ich hatte die Kraft, mich da wieder rauszuziehen, weil ich durch unser erstes #nichtgesellschaftsfähig-Buch unglaublich viel über die Psyche und eben über Skills-Training gelernt hatte.
Unser jetziges Buch hat mir ganz persönlich geholfen, einen Umgang mit dem Tod und mit Verlust zu finden. Ohne unser Buch, ohne genau diese Produktion hätte ich keines von all den eingangs beschriebenen Ereignissen auch nur ansatzweise auf die Reihe bekommen. Und das wäre fatal gewesen, für mich und mein nahes Umfeld.
Ich hätte nicht gewusst, dass es auch vielen anderen Menschen so ergeht. Ja, es hilft, einerseits zu wissen, dass man sich in Gemeinschaft weiß, weil es anderen genauso geht – auch wenn man diesen unerträglichen Schmerz, die eigene Trauer nur ganz alleine spürt und aushalten muss. Andererseits hilft es, offen und ehrlich darüber zu sprechen, weil man sich dadurch eben auch verstanden fühlt – also wenn man das richtige Gegenüber hat. Es ist erleichternd, befreiend.
Durch die Inhalte in unserem Buch habe ich auch gelernt, dass es zigfache Arten des Trauerns und des Umgangs mit Sterben, Tod und Verlust gibt. Und dass es okay ist. Man darf sich so fühlen, wie man sich fühlt. Man darf sich ungerecht behandelt fühlen, warum das einem jetzt selbst passiert ist. Man darf wütend sein, man darf schreien, sich verstecken, nicht reden … Man darf auch lachen und sein Leben (weiter-)leben. Und ja, es ist auch vollkommen okay, dass man verschiedene Empfindungen dabei hat, wenn Menschen sterben. Ein Tod geht einem näher als ein anderer.
Ich weiß, dass unsere Glücklicher Montag-Produktionen immer etwas mit uns machen, dass sie etwas auslösen und bewirken, weil wir uns eben an die Themen „rantrauen“, die tiefer reingehen. Da lassen wir seit Jahren irgendwie auch nichts aus.
Als wir im Frühjahr 2021, kurz nachdem wir unser erstes #nichtgesellschaftsfähig-Buch veröffentlicht hatten, mit dieser Produktion begonnen haben, hatte ich irgwie vergessen, dass unsere eigenen Produktionen stets bei uns etwas auslösen und etwas mit uns zu tun haben. Ich bin ziemlich naiv an diese Produktion herangegangen. Ich war der Meinung: Wir führen einfach unsere #nichtgesellschaftsfähig-Reihe fort. Nicht wieder mit so einem fetten 600+-Seiten-Buch, weil das nicht stemmbar ist, sondern mit dünneren Büchern … Fangen wir doch einfach mit Essstörung und Tod+Trauer an, fortführend aus den Kapiteln unseres ersten Buches … Jeweils nur ca. 120 Seiten wie bei unsere beiden 1989-Büchern. Das geht schon klar. Was den Tod betraf, steckten wir ohnehin schon im Thema, weil wir nah mit der FUNUS-Stiftung vertraut sind und seit vielen Jahren gemeinsame Projekte in die Welt bringen. Die „Stadt der Sterblichen“ 2019 hatten wir ganz wunderbar miteinander gemeistert. Daraus entstand auch unsere #nichtgesellschaftsfähig-Reihe. Es fühlte sich einfach folgerichtig an, dass wir ein Buch zum Thema machen. Also gings los. Wir produzierten.
Ziemlich schnell merkten wir, dass wir auf unsere Art im #nichtgesellschaftsfähig-Style kein 120-Seiten-Buch hinbekommen, weil das Thema Tod dafür schlichtweg zu umfassend ist. Also ließen wir uns auf diese Produktion ein, ohne dass wir wussten, welches Ergebnis wir am Ende in unseren Händen halten würden. Und alle unsere Beteiligten zogen es genauso mit durch.
Dass ich während dieser Zeit einfach mal persönlich mit Krankheit, Verlust, Sterben und Tod mehrfach konfrontiert werden würde, hätte ich nicht mal ansatzweise in Erwägung gezogen. Gefühlt war das für mich alles sehr komprimiert, aufeinanderfolgend und frontal. Ich hatte zwischendurch keine „Auszeiten“, um mal Luft zu holen. Es ging einfach Schlag auf Schlag die letzten Monate – inklusive zusätzlich vielen Tierpraxis-Besuchen plus Tierklinik mit unserem Jung-Husky Akira.
Achso, ja, Pandemie ist ja auch noch und die zieht sich eben. Der Ukraine-Krieg ist für uns alle sehr klar wahrnehmbar. Die Folgen des Klimawandels ebenso.
Hätte ich nicht seit Jahren unsere Glücklicher Montag-Produktionen und jetzt dieses unser Buch gehabt, wäre ich mit all dem nicht so klargekommen, wie ich jetzt klarkomme. Unsere Buch-Produktion hat mir geholfen. Skills haben mir geholfen und das Skills-Training hilft mir, Zen, Achtsamkeit … Und eben Radikale Akzeptanz – der Mittelteil in unserem Buch.

Radikale Akzeptanz: Ich liebe es. Es ist für mich der Weg, der mir hilft, das Leben zu akzeptieren – in all den Ausprägungen, die zu leben eben mit sich bringt. Es macht mich innerlich ruhig, weil ich alles tief spüre, rein spüre. Und ja: Radikale Akzeptanz ist gleichzeitig auch grausam und „der schwere Weg“, weil man alles wahrnimmt, annimmt: „Es ist, wie es ist“ meint auch, dass man diesen intensiven Schmerz zutiefst spürt. Das muss man aushalten können, man muss seine eigenen Gefühle aushalten können, sich selbst. Wenn man das schafft, hat es etwas zutiefst Befreiendes. Doch für meine Begriffe bedarf auch das Training und man sollte sich da langsam rantasten.
Persönlich möchte ich lieber den intensiven, tiefen Schmerz spüren, als zu leiden. Marsha M. Lineham hat das alles ziemlich gut auf den Punkt gebracht.
Ja, heute den ganzen Tag habe ich diesen intensiven Schmerz gespürt. Er war rein. Der pure Schmerz. Als ich aufwachte, hatte ich eine WhatsApp von meiner Mutch: „Ruf mich bitte mal kurz an.“ Ich dachte verschlafen, noch am Munterwerden und noch nicht ganz da: „Ach, alles juti. Wenn Mutti nicht anruft, geht es mit Omi.“
Wir hatten Omi die letzten vier Wochen nach ihrer untherapierbaren Bauchspeildrüsen-Leber-Krebs-Diagnose, gestreut in Lunge und so, gemeinsam betreut – also ich war seitdem regelmäßig in kurzen Abständen aller zwei, drei Tage da, Mutti und Vati haben diese vier Wochen 24/7 bei und mit Omi verbracht.
(Anmerkung: Ich weiß gerade nicht, ob das die exakt richtige Diagnose ist. Ich weiß nur, es war eine dieser untherapierbar-und-extrem-schmerzhaft-unter-Qualen-sterben-Diagnosen.)
Ich rief meine Mutch an und sie sagte: „Komm heute bitte nicht. Omi hat blaue Lippen, röchelt, ihre Füße sind ganz blass, sie erzählt (wirr) von früher. Ich habe die körperlichen Sterbephasen und den Sterbeprozess gegoogelt. Es ist nicht mehr lange. Tante Hannelore war heute früh da. Sie hat mir sehr gut getan, weil sie einen unglaublich guten, liebevollen Umgang hat … Vati hat die ganze Nacht an Omis Bett gesessen und ihre Hand gehalten. Dann haben wir uns abgewechselt und er ist schlafen gegangen.“ Nach diesem Telefonat bin ich mit meinen Hundis ins Wäldchen gegangen.
14:25 Uhr war der Zeitpunkt da. Mutti saß durchweg bei Omi – wie auch schon die Tage zuvor, in Abwechslung mit Vati. Vati war zuvor kurz zwei Stunden zuhause: Wäsche waschen und den Trockner bestücken. Er kam wieder. Omi hatte auf ihn gewartet. Omi erhob sich, erbrach schwarzes Irgendetwas in der Stube und starb. Im Beisein von Mutti und Vati.
So grausam und qualvoll die letzen Tage und Wochen auch waren, weil Omi trotz Morphium durchweg extreme Schmerzen hatte, so unglaublich liebevoll war das alles auch. Meine Eltern haben Omi rund um die Uhr betreut. Sie haben die letzten Tage bei ihr im Haus gelebt, denn Omi wollte zuhause sterben. Und sie ist auf ihrer Couch gestorben. Am Wochenende ist Tala noch auf ihre Couch gehüpft und Akira hat Omi immer, wirklich immer zur Begrüßung ein Küsschen gegeben.
Noch bis vor ein paar Tagen hätte ich niemals gedacht, dass wir als Familie das mit dem Sterben zuhause mal machen würden. Und dass wir es können. Doch wir waren in der Situation drin und haben es getan. Intuitiv. Also insbesondere haben es Mutti und Vati getan. Und sie haben es so unglaublich fantastisch gemacht, „ohne Ahnung davon zu haben“. Das hat mich wirklich geflashed und zutiefst beeindruckt. Wir alle hätten nie für möglich gehalten, dass wir das können. Doch in dieser Situation stand es für uns nie zur Debatte, ob wir das können. Wir haben agiert und gelebt.
15:30 Uhr standen wir drei heute vor Omis auf der Couch liegenden toten Körper, eingebettet in ihre Decken und Kissen, und so haben wir uns verabschiedet. Das war mein und unserer intensiver Moment des Abschiednehmens.
Schwarwel hat seinen Papa auch zuhause beim Sterben begleitet – mit seiner Familie. Und er hat dabei und daraus unseren Film „Leipzig von oben – Vom Leben und Sterben“ gemacht.
Ich war dabei. Und ich hätte never ever in Erwägung gezogen, dass Zuhause-Sterben eine Option für uns sein könnte, weil wir da null fit sind, null Erfahrung im medizinischen oder Sterbebegleitungsbereich haben. Doch irgendwie haben wir es gewuppt.
Am Sterbebett seines Vaters hat Schwarwel das Drehbuch für unseren „Leipzig von oben“-Film geschrieben. Und er hat nicht nur den Tod seines Vaters darin thematisiert, sondern dabei auch seine persönliche Geschichte, sein Empfinden und seine Erlebnisse integriert. Daraus wurde ein autobiografischer, sehr ergreifender, emotionaler Film, der Schwarwel gleichzeitig auch bei seiner eigenen Aufarbeitung half sowie beim Umgang mit dem Sterben, dem Tod und dem Leben.
Ich habe es wirklich sehr bewundert – und auch so in dieser Art zum ersten Mal erlebt –, wie authentisch und liebevoll die Urnenbeisetzung von Schwarwels Papa auf dem Leipziger Südfriedhof organisiert und durchgeführt wurde – ganz abgestimmt auf das, was Schwarwels Papa war und wollte. Eben ein ganz individuelles, kreatives Abschiednehmen mit allem Drum und Dran. Ganz wunderbar. Es tat so gut, das mitzuerleben, während ich neben Schwarwels (ehemaligem) Therapeuten saß, weil wir uns auch kannten.
Ja, so eine individuelle Zeremonie war für mich neu. Und ich fand es traumhaft.
In unserem Buch wird diese meine Erfahrung von 2016 nochmals intensiviert: Die Bestatter:innen in unserem Buch sowie Frank und Michael vom Flamarium zeigen auf, dass sie möchten, dass der Weg des Abschiednehmens empathisch und achtsam und eben ganz individuell sein darf und sogar soll.
In dieser Zeit 2016 lernten wir auch Frank und Dina vom Flamarium Saalkreis kennen. Einerseits, weil Schwarwels Papa im Flamarium in Kabelsketal verbrannt wurde – Genau jetzt stoppe ich, um meinen WhatsApp-Chat mit Dina heute rauszukramen, damit ich hier die richtige Bezeichnung benutze, da ich heute schon mehrmals die falsche benutzt habe, als ich mit Dina bezüglich des Todes meiner Omi chattete. Es heißt „einäschern“ und nicht „verbrennen“. Und es heißt „Beisetzung“ bei einer Urne und „Beerdigung“ bei einem Sarg.
Also: Schwarwels Papa wurde im Flamarium eingeäschert. Parallel dazu waren wir kurz vorher oder während dieser Zeit beim FUNUS-Symposium. Frank hatte zu Pfingsten beim VEID-WGT ein „Herr Alptraum“-Original von Schwarwel ersteigert und liebt Comics. Wir hatten also gleich unsere Basis. Kurze Zeit später saßen wir beim Käffchen mit Frank und Dina im Flamarium und von da an nahm alles seinen Lauf. Das Flamarium unterstützte uns grandios bei der Finanzierung von „Leipzig von oben“ und ein paar kurze Jahre später wurde Dank der FUNUS-Stiftung die Quasi-Fortführung von „Leipzig von oben“ in Form der Graphic Novel „Gevatter“ Wirklichkeit, in der Schwarwel als Autor und Zeichner noch einmal mehr aus seiner Ich-Perspektive erzählt und tief in seine Seele blicken lässt. Eine echt intensive Art der Aufarbeitung und des Verarbeitens von Tod, Verlust und Trauer.
Und Schwarwel macht bei „Gevatter“ eins: Er hat die fünf Kapitel, aus denen die Graphic Novel besteht, nach den Sterbephasen benannt, die Elisabeth Kübler-Ross in den 1960er Jahren definiert hat:
- Verleugnung und Isolierung
- Zorn
- Verhandelung
- Depression und Leid
- Annahme/Akzeptanz
Während unserer Buch-Produktion haben Schwarwel und ich einige heftige „Diskussionen“ geführt, ob es denn okay geht, dass so viele unserer eigenen Produktionen mit in diesem Buch vertreten sind. Schwarwel möchte für sich keine Künstler-Ego-Show, keine Nabelschau und kein prahlerisches Hervortun. Ich überzeugte ihn, dass es okay geht, weil wir uns bereits seit Jahren bei unseren Eigenproduktionen mit unseren Buch-Themen beschäftigen und dies auch als unseren Output in die Welt bringen. Sei es in Form von Animationsfilmen, Büchern, Comics, Graphic Novels, Illustrationen … als Auftragsarbeiten und als Eigenproduktionen.
Schwarwel macht das alles schon sehr, sehr, sehr viele Jahre. Seine Comicfigur Herr Tod aus dem Schweiniversum beispielsweise gibt es schon über 30 Jahre. Herr Tod fand Einzug in unser Buch und hat jetzt in Illustrationen und Comics auch Frau Leben an seiner Seite.
Und weil auch das während unserer Buch-Produktion eine Entwicklung nahm, haben wir Herr Tod und Frau Leben dem Flamarium, der FUNUS-Stiftung und der drunter+drüber „vermacht“.
Mir wurde wirklich erst durch unsere jetzige Buch-Produktion bewusst, wie lange, wie viel und auf welch unterschiedliche Art und Weisen wir uns seit vielen Jahren bei unserer Arbeit mit dem Thema Tod beschäftigen.
Und jetzt kommt doch die ganz eigentliche, essentielle Frage: Was bringt es, sich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen, es in Filme, Bücher, Zeichnungen und Texte zu packen? Was bringt so ein Buch? Welcher Sinn steckt dahinter?
Das Leben und der Tod sind allgegenwärtig. Der Tod ist das Ende und er steht uns allen bevor. Jeder und jedem Einzelnen. Da gibt es nix dran zu rütteln. Ich sterbe, du stirbst, meine Mutti stirbt, mein Vati stirbt … Omi und Opi sterben, geliebte Menschen, naheste Vertraute, Freund:innen, Arbeitskolleg:innen, Kinder, Babys sterben … That’s it.
Wir können hier keine Entscheidung treffen, ob wir das wollen oder nicht. Auch nur in sehr geringem Maße darüber, wann und wie es passiert. Irgwann werden wir alle mit dem Tod konfrontiert und wir müssen einen Umgang mit dieser Wahrheit finden, unseren eigenen, persönlichen Umgang. Wenn es uns selbst betrifft, können wir nicht mehr wegrennen. Wir müssen in dieser Situation bleiben. Doch wir können entscheiden, wie wir damit umgehen, wenns soweit ist. Und genau darum geht es in unserem Buch.
Meine Omi wollte nicht an COVID-19 sterben. Das hat sie ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht. Und sie hat sich an alles gehalten, damit sie diese Seuche nicht bekommt. Wir anderen natürlich auch. Omi war sich bewusst, dass sie 88 ist. Und dass es dann irgendwann mal später Zeit wird. Sie ist viel älter geworden als Opi – 20 Jahre älter – und sie ist auch viel älter geworden als ihre Schwester und ihr Bruder. Sie war glücklich mit ihrem Leben. Es war so total fein für sie. Was ich nach den Ereignissen der letzten Wochen nicht aus meinem Kopf bekomme, ist, dass Omi permanent wiederholte, dass sie doch nicht so grausam mit so immensen Schmerzen sterben möchte. Und auch wenn dieser eine Monat nach der Diagnose an sich „kurz“ war, waren die qualvoll-schmerzvollen Tage, Stunden, Minuten und Sekunden eine gefühlte Ewigkeit. Wir konnten es uns nicht aussuchen oder irgendetwas zu dem Ding Tod entscheiden. Wir konnten nur entscheiden, wie wir begleiten und da sind. Auch darum geht es in unserem Buch.
Persönlich kann ich die Dimension des Todes in seiner Gesamtheit emotional nicht erfassen. Das macht meine Psyche nicht mit. Dieses wirklich reale Begreifen. Deshalb bin ich irgendwie „froh“, dass die Natur es so eingerichtet hat, dass man es als Lebewesen hinbekommt, mit einem Tod grundsätzlich klarzukommen. (Was auch immer „Klarkommen“ meint.)
Warum es unser Buch gibt und warum wir das machen? Gute Frage.
Ich persönlich habe diese für mich beantwortet und Schwarwel macht das alles schon seit Jahren.
Vor ein paar Monaten fragten wir uns mitten im Produktionsprozess, wer unsere Zielgruppe ist. Also Schwarwel fragte mich. Und ich so: „Najaaa, hhhhmmmm … Intuition. Wir machen es einfach, wie wir es machen. Und guggn, ob es auch nur eine oder einer liest.“ Und wenn es auch nur einer oder einem hilft, um besser klarzukommen, haben wir unser Ziel erreicht. Das war auch bei unserem ersten #nichtgesellschaftsfähig-Buch schon so.
Was wir mit unserer Buch-Produktion noch möchten: Dass wir darüber sprechen, dass wir alles in unseren alltäglichen, familiären, Freundes- und beruflichen Kreis integrieren, dass wir akzeptieren, dass Tod, Verlust, Trauer und der daraus resultierende Schmerz Teil unser aller Leben ist und wir deshalb damit auch genauso umgehen sollten.
Mir persönlich hätte es geholfen, wenn ich in eine Gesellschaft hineingeboren worden und aufgewachsen wäre, in der sogenannte Tabu-Themen keine Tabu-Themen sind, weil wir alle emotionale Menschen und Lebewesen sind. Verdrängung bringt letztlich nix. Wegdrängen, Leugnen, alles weg und an den Rand schieben – bringt nix. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass genau das das Gegenteil bewirkt.
Ja, unsere Psyche und unsere Emotionen leben und brauchen ihren Platz in der Welt. Mir persönlich geht es in meinem Alltag besser, wenn wir genau das akzeptieren und darüber sprechen.
Wenn ich meinen Alltag gerade nicht gewuppt bekomme, weil es mir emotional und/oder psychisch nicht gut geht, ist das okay. Wenn ich gerade mit einem schweren Verlust klarkommen muss, ist das okay. Wenn ich meine Trauer fühle, sie spüre und auslebe, ist das okay.
Da bin ich eben in dieser Zeit anders drauf und bekomme weniger auf die Reihe. Ja, das ist so. Weil genau das normal ist.
Menschlich.
Dieses Interview wurde erstveröffentlicht im Buch „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”.