NIE WIEDER

von Ole Plogstedt, Rote Gourmet Fraktion
Im Sommer 2013 war ich mit meiner Frau im Wohnmobil unterwegs. In Polen. Bis in die Hohe Tatra. Der Weg war das Ziel. Auf diesem Weg liegt die Gedenkstätte Auschwitz. Obwohl wir glaubten, vieles aus der Zeit des Nationalsozialismus zu wissen, hat uns der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers in vielen Punkten nachhaltig beeindruckt, bewegt, schockiert und lange beschäftigt.
Es ist wie so oft etwas komplett anderes, etwas theoretisch zu wissen, als es selbst gesehen zu haben.
Und es ist immer noch unvorstellbar, wie grausam es für diejenigen gewesen sein muss, die dort oder in einem der vielen anderen KZs vor der Befreiung gewesen – und zum großen Teil ermordet worden sind.

aus „Leipzig von oben – Vom Leben und Sterben“
Wie ich mich aus den, bedauerlicherweise nur sehr wenigen und kurz angerissenen, Erzählungen meines Vaters (1920 – 1995) erinnere, war mein Großvater als politischer Gefangener im KZ. In welchem Lager ist mir leider nicht bekannt.
Die Familie lebte in Berlin. Mein Großvater war ein gesellschaftlich sehr angesehener Bürger. Jeden Sonntag flanierte die ganze Familie im feinen Zwirn und die Kinder im Matrosenanzug durch den Zoologischen Garten, tranken in der Gastronomie einen Tee und wurden vom Zoodirektor und allen Bediensteten hofiert.
Anfangs war mein Opa glühender Anhänger der Nationalsozialisten, aber irgendwann, nach der Machtergreifung Hitlers, wurde er zunehmend unzufriedener mit der Politik der Nazis, was er – laut der Erzählung meines Vaters – in Form eines Briefes an die Parteiführung auch unumwoben äußerte.

aus „Leipzig von oben – Vom Leben und Sterben“
Das führte neben Repressionen gegen die Familie wie zum Beispiel, dass meinem Vater ein Studium verwehrt wurde, zur Festnahme meines Großvaters und seiner Inhaftierung ins KZ. Wie lange er in Haft war, weiß ich leider nicht.
Meine Großmutter erhielt einen Brief von den Nazis, dass ihr Mann aus dem KZ entlassen worden sei und auf dem Heimweg sodann auf dem Anhalter Bahnhof einen Herzanfall erlitten hatte und daran „bedauerlicherweise“ verstarb.
Diese Geschichte hat mir mein Vater genau so erzählt und ganz offensichtlich sein Leben lang geglaubt. Ich auch.
Bei unserem Besuch in Auschwitz haben wir in einem der vielen Ausstellungsräume Briefe gelesen – ebensolche Briefe, in denen Angehörigen von KZ-Häftlingen der „natürliche“ Tod des Verwandten mitgeteilt wurde.

aus „Leipzig von oben – Vom Leben und Sterben“
Da erst wurde mir bewusst, dass mein Großvater ganz sicher von den Nazis im KZ umgebracht wurde. Und mein Vater hat sein Leben lang an diesen „natürlichen“ Tod seines Vaters geglaubt. Sicher, weil er es als Kind so erzählt bekommen und es nie in Zweifel gezogen hat. Aber seine Mutter/meine Großmutter? Hat sie es auch geglaubt? Oder hat sie was geahnt?
Wahrscheinlich hat man es gerne geglaubt, weil der „Herztod“ des geliebten Mannes immer noch besser zu ertragen ist als die Vorstellung, er sei, womöglich unter schlimmsten Qualen und Schmerzen, hingerichtet worden.
Die Nazis haben mit diesen perfiden Briefen ihr unfassbar grausames Töten in den Lagern vor der Bevölkerung zu verschleiern versucht.
Unbegreiflich, dass es Menschen gibt, die den Holocaust leugnen, verharmlosen oder relativieren.
Deswegen: #niewieder #niemalsvergessen #fightnazis #alwaysantifacsist
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht im Buch „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”.

(Acryl auf Leinwand, 2010)