UMGANG MIT DEM TOD BEI „SOKO LEIPZIG” 

Interview mit Katharina Rietz und Henriette Lippold

von Sandra Strauß

Katharina Rietz und Henriette Lippold sind Produzentinnen von „SOKO Leipzig”.
Katharina ist seit 2015 bei der UFA Fiction GmbH tätig und verantwortet als Produzentin die Krimiserie „SOKO Leipzig“ sowie die Entwicklung weiterer Stoffe und Formate für die Niederlassung Leipzig.
Henriette kam durch ein Praktikum 2004 zur UFA Fernsehproduktion und durchlief die klassischen Stationen bis zur Produzentin für die ZDF-Hauptabendserie „SOKO Leipzig“. Derzeit konzentriert sie sich gemeinsam mit Katharina neben den laufenden Projekten vor allem auf den strategischen Ausbau der UFA-Niederlassung Leipzig.

Sandra: Wie widmet ihr euch bei „SOKO Leipzig” dem Thema Tod?

Katharina: Der Tod spielt natürlich in einer Krimiserie, in der eine Mordkommission ermittelt, eine große Rolle. Wir erzählen von Menschen, die gewalttätig zu Tode gekommen sind, aus dem Leben gerissen werden und meistens Angehörige, konfrontiert mit einer der schrecklichsten Verbrechen, hinterlassen. Der Tod ist also omnipräsent in jeder Geschichte unserer Serie. Er ist Auslöser für die heftigsten emotionalen Situtionen im Umfeld des Ermordeten. Und er ist ein starker Motor für unsere Ermittlerfiguren, die mit großem Gerechtigkeitsbewusstsein, Empathie und Verantwortungsgefühl den Gründen und menschlichen Abgründen nachgehen, warum ein Mensch sterben musste.

Sandra: Aus welcher Perspektive betrachtet und behandelt ihr den Tod?

Katharina: Aus verschiedenen. Aus der Perspektive unserer Kommissar*nnen, die in ihrem Beruf stets damit konfrontiert werden und damit umgehen müssen, aus der Sicht der Angehörigen, Freunde, Familie, die das Geschehene verarbeiten und einordnen müssen, gleichzeitig aber auch mitunter zu Verdächtigen werden, und naürlich auch aus der Sicht des Täters, oder der Täterin, der/die einem furchtbaren Gewaltbedürfnis gefolgt ist und sich seiner/ihrer Schuld stellen muss. Oft sterben unsere Opfer im Affekt, aufgrund einer extremen emotionalen Situation, in der jemand die Kontrolle verloren hat. Manchmal aber auch durch eine bewusst geplante Tat. Wichtig ist uns ein starkes Tatmotiv. Nicht um das Verbrechen zu rechtfertigen, sondern um den psychologischen Beweggründen einer solchen Tat möglichst nahe zu kommen. 

Sandra: Wie ist eure Herangehens- und Arbeitsweise, um Stoffe, Drehbücher und die einzelnen Folgen zu entwickeln?

Katharina: Das passiert auf unterschiedlichen Wegen. Gemeinsam mit unseren Autor*innen brainstormen wir Ideen, dabei greifen wir oft auf Themen, Menschen, Situationen und Konflikte zurück, die uns selbst im Alltag oder über Zeitungsartikel, Bücher und Nachrichten begegnen. Wir verbinden die Elemente in einer Geschichte mit starken nachvollziehbaren Figuren-Biographien und versuchen, so der schwierigen Frage nachzugehen, was einen Menschen dazu bewegt, einen anderen zu töten. Die Antworten darauf sind natürlich oft schmerzvoll und gehen uns, selbst in dieser fiktiven Welt, sehr nahe.

Sandra: Bedient ihr euch realen, tatsächlich stattgefundenen Ereignissen?

Henriette: Wir bedienen uns ab und zu aus dem Topf der realen Ereignisse. Manchmal sind es nur Tatmotive, eine Täter-Opfer-Konstellation oder eine bestimmte Tatreihenfolge, die uns inspirieren. Manchmal aber auch ganze Fälle. So haben wir zum Beispiel in „Das Monster“ den berühmten „Kreuzworträtselfall“ aus Halle weitererzählt. Der Fall ging in den 1980er Jahren durch die Presse, weil er die aufwendigste Ermittlung nach sich zog, die es bis dahin in der DDR gab. Im Originalfall ging es um einen Pädophilen, der einen Jungen misshandelt und getötet hat. In der „SOKO Leipzig” haben wir dann fiktiv den Bogen ins Heute gespannt. Was passiert, wenn ein solcher Täter das Gefängnis verlässt und wieder ins „normale“ Leben integriert werden soll? Bei der Entwicklung und im Film prallen alle Emotionen aufeinander: absolutes Unverständnis der grausamen Tat gegenüber, aber auch Mitleid mit dem krankhaften Verhalten des Täters.

Katharina: Wir bedienen uns realer Ereignisse nicht 1:1, aber wir bzw. unsere Autor•innen greifen sie auf. Nach Charlie Hebdo 2015 entwickelten wir sehr zeitnah eine Doppelfolge um einen jungen Mann, der aus einer islamistischen Terrorzelle aussteigt. Im Sommer letzten Jahres. als Jens Spahn sein Gesetz zum Verbot der Konversionstherapien auf den Weg brachte, haben wir die Folge „Druck“ gedreht, die sich mit genau diesem Thema beschäftigt. Und die Pandemie-Erfahrung hat uns zu einer Geschichte geführt, die einen Prepper erzählt, der fest davon überzeugt ist, dass ihn der Staat beseitigen will, weil er unbequeme Wahrheiten ausspricht. 

Sandra: Arbeitet ihr mit Praktiker:innen und Fach-Menschen zusammen und lasst euch beraten, wie bspw. von Ärzten, Bestatter:innen, Kriminalbiologen, Forensikern, Psycholog:innen …?

Katharina: Ja, das ist wichtig, um die Polizeiarbeit möglichst genau und vor allem fachlich richtig zu erzählen. Wir haben im Team zwei feste Berater dafür, einen ehemaligen erfahrenen Polizisten für den gesamten Polizeibereich und einen KTU- Berater, der uns in allen Fragen der kriminaltechnischen Untersuchungen zur Seite steht.

Sandra: Kommt es bei der Stoffentwicklung, der Produktion und dem Dreh auch zu Situationen, in denen die Geschichte des Films einem selbst sehr nah geht oder kann man es von sich fernhalten? Wie ist es bei dir? Inwiefern lässt du die einzelnen Geschichten und den Inhalt der Folgen persönlich an dich ran?

Katharina: Das kommt vor. Bei uns allen. Wenn man in einer Geschichte auf Parallelen zu seinem eigenen Leben stösst, ist man an solchen Stellen natürlich sehr viel dünnhäutiger und reagiert emotionaler. Ich lass diese Momente gern zu, weil sie oft auch ein starker Motor sind, zu erzählen. Aber man muss aufpassen, sich dabei von seiner subjektiven Betrachtungsweise nicht dominieren zu lassen. Wenn ich merke, dass mich ein Thema oder eine Figur mehr als sonst berührt, bin ich vorsichtiger im Umgang mit einer Geschichte und höre einmal mehr auf die Meinungen der anderen. 

Henriette: Das passiert mir oft, wobei die Abstraktion der Fiktion auch hilft. So ist das Verhandeln von bestimmten Krankheiten oder auch Tathergängen viel einfacher, wenn man ihn als Geschichte entwickelt. Bei den Besprechungen schaltet mein Gehirn automatisch in Arbeitsmodus – obwohl mich privat vielleicht ähnliche Verlust- oder Krankheitsthemen bewegen. Allerdings reißt es mich desöfteren in den Rohschnittabnahmen. Wenn man die Geschichte in Bilder übersetzt sieht, dann trifft es einen manchmal an ganz unvermuteten Stellen. Das ist immer noch ein großes Phänomen.  

Sandra: Gab es schon Folgen und Geschichten, die dich persönlich mitgenommen und dich tief berührt haben?

Katharina: Ja. Immer wieder. Interessanterweise lassen die sich auch nicht klassifizieren. Es hat bei mir oft mit dem Arbeitsprozess im Team zu tun. Je intensiver die Zusammenarbeit und gemeinsame Auseinandersetzung mit den Kolleg*innen zu einer Folge ist, desto mehr wächst einem genau diese Geschichte dann ans Herz. Ein besonderes Beispiel war der 1990er „Schmetterlingstage – Monstertage“, in dem es um ein Hassverbrechen an einer jungen Transfrau ging. 

Henriette: Auf jeden Fall. Mir gehen die eher leisen Geschichten nahe. In denen gut und böse nicht so klar definiert sind und man auch die Täterperspektive nachempfinden kann. Vor allem bei innerfamiliären Konflikten, die eskalieren, bin ich oft recht emotional. Und bei Fällen, in denen Menschen denken, sie würden mit einem Mord das Leid eines anderen lindern und damit erst echtes Leid erschaffen. Dieses „fürs Gute das Schlechte tun“ fasziniert und berührt mich.

Sandra: Wie ist im real life dein eigener Umgang mit Tod und Trauer?

Katharina: Ich habe das Glück, im eigenen Umfeld bisher wenig nahestehende Menschen verloren zu haben. Insofern bin ich aber auch im Umgang mit Tod und Trauer wenig erfahren und sehr unsicher. Ich wünsche mir da eigentlich mehr Auseinandersetzung, auch in unserer Gesellschaft. Mehr Zeit und Raum für dieses Thema. Weniger Angst davor. 

Und eine Chance, näher zusammenzurücken. Nicht nur in dem Moment, wo einen so eine furchtbare Nachricht über einen Tod ereilt. Auch darüber hinaus. In einem gemeinsamen Bewusstsein, dass wir alle endlich sind. 

Henriette: Ich bin ein Meister der Verdrängung. Dieser Reflex hilft mir unmittelbar nach Verlusten sehr gut, aber richtet irgendwann Schaden an. Man kapselt die Trauer ab und lässt ein Durchleben nicht wirklich zu. Das macht Trauerarbeit zu einem Stachel, der nicht herauseitern will und der zu den unmöglichsten Momenten anfängt zu pieksen. Oder sich zu entzünden. Diese Wunden heilen zu lassen, dauert dann oft sehr lang.

Dieses Interview wurde erstveröffentlicht im Buch „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”.

Foto: #sds19-Veranstaltung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig mit der SOKO-Folge „Unerwarteter Nahschuss“ (2008) und anschließender Gesprächssrunde
v.l.n.r.: Frank Pasic, Henriette Lippold, Dina Pasic,  Rommy Arndt, Melanie Marschke, Holger Kulick, Marco Girnth und Prof. Dr. Rainer Eckert