ÜBERDOSIS MIT ANSAGE

Illustration: Schwarwel 
für Endlichkeitsfestival „Stadt der Sterblichen“

von Markus Kavka

Vor 20 Jahren nahm sich ein guter Freund von mir das Leben. Überdosis mit Ansage. Seine Familie, seine Freunde, ich – wir probierten alles. Reden, zuhören, ihn zum Entzug und zur Therapie schicken und begleiten, nichts half. Er entfernte sich immer mehr, man kam überhaupt nicht mehr ran und am Ende waren alle unfassbar traurig, verzweifelt, aber auch wütend und ratlos. Alle machten sich Vorwürfe, weil keiner wusste, ob man wirklich alles versucht hatte, und vor allem, ob das, was man versucht hatte, richtig war.

Depressive Episoden hatte er schon einige Jahre, lange vor dem Heroin, das er irgendwann als Medizin entdeckt hatte. „Saufen macht mich noch trauriger, auf Heroin lässt es sich aushalten“, meinte er mal zu mir. Irgendwann ließ es sich vielleicht noch auf Heroin aushalten, das Runterkommen und vor allem die Tage ohne die Droge wurden selbstredend immer schlimmer. Zu den Depressionen kamen nun auch noch physische Qualen. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie jeder Lebenswille aus ihm wich.

Mir persönlich war schon klar, dass es falsch ist, seiner Aussage „Ich will nicht mehr, ich mach bald Schluss.“ keinen Glauben zu schenken. „Leute, die darüber reden, machen es sowieso nicht“, ist eine der größten Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit Suizid überhaupt. Genauso wenig dienlich sind Aussagen wie „Hab dich nicht so.“/„Wird schon wieder.“/„Anderen gehts noch schlechter.“/„Das Leben ist doch so schön“. Oder Anwandlungen, sich selbst zu wichtig zu nehmen und von sich zu erzählen, anstatt zuzuhören. 

Dennoch sind mir und uns all diese Fehler unterlaufen, aus Unwissenheit, aus Verzweiflung, weil man ja schließlich irgendwas tun oder sagen musste. Nur was?

Erst mal wirklich zuhören. Einfach um zu zeigen, dass jemand einem wichtig ist und man für ihn da sein will. Wenn man merkt, dass das nicht ausreicht, sollte man anbieten, beim Suchen nach professioneller Hilfe dabei zu sein und dann auch gegebenenfalls die Person zum Arzt oder Therapeuten zu begleiten. Alleinlassen ist das Schlimmste. Als sehr falsch hatte sich in meinem Fall auch die Annahme erwiesen, dass das Problem gelöst ist, sobald der Mensch angibt, dass es ihm besser geht. Denn oft geht es Betroffenen auch dann besser, wenn sie eine Entscheidung getroffen haben, und das kann eben auch jene sein, sich das Leben zu nehmen – wie bei meinem Freund, als er für sich beschlossen hatte, sich eine Überdosis zu setzen, da war er in den Tagen davor regelrecht euphorisch, was uns tatsächlich zu der Annahme verleitete, er wäre auf dem Weg der Besserung. 

Fakt ist, dass Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, gar nicht wirklich ausdrücklich sterben möchten, sondern in erster Linie den Schmerz und die vermeintliche Ausweglosigkeit in einer bestimmten Lebenssituation beenden wollen, und im Suizid die einzige Möglichkeit sehen.

Fakt ist, dass Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, gar nicht wirklich ausdrücklich sterben möchten, sondern in erster Linie den Schmerz und die vermeintliche Ausweglosigkeit in einer bestimmten Lebenssituation beenden wollen, und im Suizid die einzige Möglichkeit sehen. Da muss man ansetzen, man muss aufzeigen, dass es eben nicht die einzige Möglichkeit ist.

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit dem Thema habe ich mich vor 20 Jahren einem Verein namens Freunde fürs Leben angeschlossen (siehe auch das Interview mit den Gründer:innen Diana Doko und Gerald Schömbs). Ziel dieser Initiative ist es zunächst mal, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene über die Themen Suizid, Depression und seelische Gesundheit aufzuklären. Das sind ja alles immer noch Tabuthemen in unserer Gesellschaft – und das, obwohl sich in Deutschland jährlich fast 10.000 Menschen das Leben nehmen. Das sind mehr, als durch Verkehrsunfälle, Verbrechen und Drogen zusammen sterben. 

Hinsichtlich der drei letztgenannten Dinge gibt es schon seit langem Präventions- und Beratungsstellen, Informationen, Aktionen und Aufklärungskampagnen. Beim Thema Suizid sind die Berührungsängste immer noch groß. Deswegen ist es das Ziel von Freunde fürs Leben, durch Aktionen einfach mal Aufmerksamkeit zu erzeugen, um dann in einem nächsten Schritt auch Kontakte zu professionellen Einrichtungen zu vermitteln.

In dem Zuge haben wir auch das YouTube-Format „Bar-TALK“ entwickelt, bei dem ich mit Prominenten über Themen wie Depression, Suizid, Angststörungen, Panikattacken oder Selbstzweifel spreche – mit denen all unsere Gesprächsgäste persönliche Erfahrungen haben. Damit wollen wir in erster Linie zwei Dinge erreichen: Zum einen soll durch die prominenten Gesprächspartner:innen natürlich eine gewisse Öffentlichkeit generiert werden, zum anderen sollen vor allem junge betroffene Menschen merken, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und dass es okay ist, über sie zu sprechen. Depressionen sind eine Krankheit und keine Macke, bei der es peinlich ist, diese zu haben. Und wenn dann Popstars, von denen man denkt, dass es ihnen doch an nichts fehlt, nicht an Bestätigung, nicht an Selbstvertrauen, nicht an Geld, plötzlich ganz offen von ihren psychischen Problemen berichten, kann das durchaus ein Türöffner dafür sein, es ihnen gleich zu tun. 

Auch mich berühren diese Gespräche jedes Mal sehr, nicht nur wegen meiner persönlichen Erfahrungen, sondern weil sie wirklich ganz anders, nämlich viel tiefgründiger und ehrlicher sind als die Interviews, die ich sonst so mit Prominenten führe, und das nicht nur, weil es eben kein neues Album, keinen Film oder kein Buch zu promoten gibt, sondern weil alle Beteiligten auch bereit sind, sich voll und ganz auf das Thema einzulassen. 

Und so sprach ich beispielsweise mit Nova Meierhenrich über den Suizid ihres Vaters, mit Prinz Pi über seine bipolare Störung, mit Bosse über seine Melancholie, mit Samy Deluxe über seine Therapie, mit Nicholas Müller über seine Panikattacken oder mit Clueso über seine Angst vor einem Neuanfang. 

Die Resonanz darauf war überwältigend. Viele junge Zuschauer:innen erkannten sich in den Geschichten wieder und fühlten sich dadurch ermutigt, nun auch offen darüber zu sprechen. Weswegen mein großer Dank noch mal all den Prominenten gilt, die bei dieser Sache mitgemacht haben. Das erfordert viel Mut, zumal in der Entertainment-Branche, in der es nach wie vor eigentlich verboten ist, Schwächen zu zeigen und sich angreifbar zu machen. Entsprechend schwierig ist es vor diesem Hintergrund, überhaupt Gäste für das Format zu finden. Sollte sich also jemand durch meine Zeilen angesprochen fühlen, würde ich mich sehr freuen, wenn ich sie/ihn bald mal im „Bar-TALK“ begrüßen dürfte.

Dieser Text wurde erstveröffentlicht im Buch „Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“.