AMAROG

Illustration: Schwarwel
Clooney, Amarog, Tala, Jeep, Ozzy und Akira

von Sandra Strauß

Es ist der 3. August 2021. Nachts. In der Nacht von Montag auf Dienstag. Vor einer Woche bin ich Montag früh um sechs aufgewacht, weil ich Amarog rumwürschen hörte. Er kam nicht hoch, er konnte nicht aufstehen, so sehr er es auch versuchte.

Schon seit einer Weile übernachtete ich in unserem Studio, weil ich es nach so langer Zeit einfach nicht mehr schaffte, Amarog alle vier Treppen in unsere Wohnung zu tragen. Und weil Amarog auf dem glatten Fußboden und den Fliesen gar nicht mehr hochkam. Es war okay, weil ich wusste, dass es für diesen Zustand absehbar war. Ich tat es für ihn und unsere gemeinsame Zeit.

Ebenso gehörte dazu, dass wir seit Ostern 2020 Dauergast beim Tierarzt waren. 2020 mit unseren beiden Hundis gesamt 58 Mal – inbegriffen eine Vergiftung von Tala durch Blaualgen.

2021 gings dann Tierarzt-Dauergast-mäßig so weiter. Inklusive mehrmals wöchentlich.

Zurück zu Montag vor einer Woche. Besser gesagt zu dem Wochenende davor. Es ging nicht mehr. Körperlich ging es für Amarog nicht mehr. Doch er selbst wollte noch nicht gehen, weil unsere Bindung zu stark und zu intensiv war und ich keinesfalls loslassen wollte. Ich wollte ihn nicht verlieren, weil ich so eine extreme Angst vor GENAU DIESEM SEINEN Verlust hatte, den ich nie überwinden werde.

Unser Tierarzt Dr. D. und mir nahe Freund:innen meinten immer: Du spürst es, wenn er gehen möchte und es an der Zeit ist. Er legt sich dann weg und ist dir fern. Das war bei Amarog bis zum letzten Atemzug nicht so. Auch nicht durch seine Demenz. Er war immer ganz nah bei mir.

Genau das hat meine Entscheidung nur noch schwerer gemacht. Doch ich musste diese Entscheidung treffen. Weil nur ich sie treffen konnte und musste.

Und dann war es eben am Montag vor einer Woche. Ich rief unsere Tierarzt-Praxis an. Bekam sofort 11:15 Uhr einen Termin bei Dr. D., der nach seinem Urlaub seinen ersten Arbeitstag hatte.

Ich saß 11:15 Uhr im Gras vor der Tierarztpraxis Wachau – mit Amarog und Tala. Dr. D. kam. Ich rang nach Worten und ich weinte sofort los. Dr. D. machte das, was er immer machte: einfühlsam, sensibel, mit Abstand, hochprofessionell … stand er da und hörte sich alles an.

Ich erzählte, weinend, schluchzend und dennoch voll da … Dr. D. nahm Tala, ich trug Amarog in die Praxis, immer noch aus tiefstem Herzen weinend. Ich legte Amarog auf den Tisch und hielt ihn ganz fest. Ich hielt ihn ganz fest in meinen Armen und weinte … Amarog legte sich hin und wurde ganz ruhig. Es war okay. Und ich dachte daran, wie ich ihn als kleinen fast acht Wochen alten Welpen das erste Mal in meinen Armen gehalten hatte. Und wusste, dass sich der Kreis schließt. Für diesen Moment war es okay. Seine Augen schlossen sich, ich war ganz nah an seinen Augen, ihn immer noch haltend. Dann öffneten sich seine Augen. Dr. D. streichelte Amarogs Augen, seine Nase und sein Gesicht. Ich ließ ihn los und stellte mich vor sein Gesicht, sah ihm in die Augen. In seine toten Augen. Und wusste, dass es für uns okay ist – jedenfalls für diese Situation und diesen Moment.

Dr. D. ging kurz raus und ließ mich mit Amarog alleine, nachdem er fragte, was ich jetzt möchte. Genau das. Kurz mit Amarog allein sein. Ich nahm meine Maske ab. Schnaubte in die mir bereitgestellten Taschentücher. Streichelte Amarogs Körper und wusste, dass ich seinen toten Körper streichelte. Und machte noch Fotos zur Erinnerung an diesen Moment.

Das hatte ich gelernt. Aus der Tierarzt-Situation mit Clooney. Amarogs ersten Hundis-Kumpel.

Und genau diese Situation zehn Jahre davor hatten mich diese Situation durchstehen lassen.

An was ich in diesem Moment auch dachte:

Nachdem zehn Jahre zuvor Clooney auf dem Tierarzt-Tisch seinen letzten Atemzug atmete, lag er kurz danach im Auto auf seiner Hundisdecke. Amarog, Tala und Jeep saßen ganz still drumherum und wussten, was los war.Tala wusste es vorigen Montag auch, weil er natürlich mit dabei war.

Dr. D. kam wieder rein und ich rief Anubis Tierbestattung an.

Dann verließ ich die Praxis und ging mit Tala spazieren. Und sagte meinen nahesten Vertrauten Bescheid.

Und dann postete ich es auf Facebook. 

Einfach nur:  Amarog, *02.09.2008 – †26.07.2021

Dann erinnerte ich mich an meine Skills, die ich für genau diesen Moment für mich vorbereitet hatte. Alltag und Struktur. Alles zulassen. Und: Ich hatte mich monatelang auf genau diesen Moment vorbereitet, um nicht abzurutschen. Nicht in schlimme psychotische Zustände zu verfallen, die meinen und unseren Verlust von Amarog mit sich bringen.

Und dann machte ich insbesondere auch noch eins, was ich mir strikt vorgenommen hatte, weil ich wusste, dass mir das hilft, um klarzukommen – auch wenn es ein Klarkommen nicht gibt, dann doch wenigstens sowas wie eine lebenswerte Perspektive, um nicht in dunklen Höllen zu verschwinden. In die ich sicherlich verschwinde – doch dann gibt es eben ein neues Leben, für das ich Verantwortung habe. Eine Aufgabe, einen Fokus – neben unserem Husky Tala. Ich habe mich mit Unterstützung meiner Familie und nahen Vertrauten sofort um einen neuen Husky bemüht. Die einzige „Vorgabe”: Husky, Welpe, schwarz-weiß, Rüde.

In der gleichen Woche, Fr 12:30 Uhr, war ich inmitten von sieben Husky-Welpen und zusätzlich noch von den Husky-Eltern umgeben. Alles war okay. Auch wenn es eine Extrem-Situation war.

Doch ich wusste, ich muss genau das tun und muss da durch. Danach an dem Tag ging bei mir natürlich gar nichts mehr. Und absoluter Overload.

Foto: privat

Akira zieht am Fr 13. August 2021 bei uns ein und ist Teil unseres Rudels. Nachts davor hatte ich noch Namen gegoogelt. Ich wollte wieder einen Wolfsnamen. 2008 hatte ich gegoogelt: Wolf Inuit. Und es kam dabei Amarog heraus.

Ja, okay, bei Wolf Inuit ist die Bezeichnung: Amarok mit „k”. Das hatte ich irgendwie vermehrt. Jedenfalls ist die Bedeutung: „Amarok ist der Name eines riesigen Wolfes aus der Mythologie der Eskimos. Es heißt, er jage und fresse jeden, der töricht genug sei, bei Nacht allein auf Jagd zu gehen. Anders als die echten Wölfe, die im Rudel jagen, ist der Amarok dabei immer allein.”

Und als ich genau das noch mal googelte und las, dachte ich an unseren ersten Hundis-Trainer Pogo in Magdeburg, mit dessen Achter-Outdoor-Husky-Rudel Amarog aufwuchs – in sehr authentischer Natur-Rudel-Umgebung – und einfach mal zum Einstieg und Willkommen – als süßer wuschelischer Plüsch-„Stadt“-Husky – am Schwanz von Pogos Huskys durch den Dreck gezogen wurde. Eine gute Schule. Es hat ihm keinesfalls geschadet. Amarog schüttelte sich als Acht-Wochen-Husky einfach und spielte im Rudel mit. Was auch sonst.

Pogo beschrieb Amarog später so: Stell dir vor, du gehst als Punk in eine dunkle Hardcore-Rocker-Kneipe. Gehst direkt zum Chef, der essend am Tisch sitzt. Nimmst sein Schnitzel, beißt rein und trinkst sein Bier aus. Und dann kommt Mutti und sagt: „Ach, komm, nicht machen.“

So in etwa lässt sich unser Husky-Leben bei Pogo in Magdeburg beschreiben. Und Amarog hat bis zum letzten Tag nichts daran geändert. 

Liebevoll dominant, liebevoll provozierend, schon allein, weil seine Ohren und sein Schwanz immer nach oben standen und seine Haltung eben so war, wie sie war. Nie aggressiv. Immer Herr der Situation. Sich nie unterwerfend. Naja, nur seinem ersten Kumpel Clooney hat er sich unterworfen, weil das okay war. Stets alle Grenzen auslotend. Immer da. Immer alle Aufmerksamkeit auf sich ziehend. Und voll lieb dabei.  Und Amarog und ich hatten den Deal: Ich bin die Rudelführerin und in dem Rahmen kannste machen, was du willst. Insbesondere: hören, wenn wir am See ohne Leine spazieren gehen. Und ja, es war durchweg harte Arbeit, weil wir stets um diese Situation „gekämpft” haben und ich keinen Moment unaufmerksam sein konnte. Auch das hat es ausgemacht.

Und ja, natürlich hat Amarog in wirklich jedem Garten, in dem wir waren, jedes einzelne noch so kleine Schlupfloch gefunden, um hindurchzukommen. Oder ist einfach über einen hohen Zaun und hohe Hecken gesprungen, weil er so extrem angstfrei war. Und dann stand er eben mal bei einer Nachbar-Nachbarin in der Küche und sagte: „Hallo!” Sie erschrack sich natürlich aufs Tiefste, auch weil sie Angst vor Hunden hatte und sagte zu sich: „Hier steht ein Wolf in meiner Küche.” Und es war okay.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 2021 schrieb ich unter meinen Amarog-Post:

„Ich danke euch allen sehr für eure lieben Worte und euren Zuspruch. Ja, das hilft mir und uns gerade sehr – bei all der Dramatik, des Schmerzes, der Trauer, dem schier nicht aushaltbaren Gefühl des Verlustes. Es ist alles noch nicht greifbar und fassbar, obwohl wir uns alle seit über einem Jahr auf diesen Moment doch irgendwie vorbereitet haben, um es irgwie auf die Reihe zu bekommen und es durchzustehen. Es war heute wirklich ein extremer Tag: Die Entscheidung treffen zu müssen, wann der „richtige Zeitpunkt” ist – zum Einschläfern, zum Erlösen von Leiden und Krankheit –, ist wirklich extrem krass.

Und gerade auch bei Amarog. Er ist, seit er acht Wochen alt war und dreizehn Jahre lang, ganz nah und intensiv an unserer Seite, 24/7 und – zwei Jahre später dann zusammen mit Tala – immer bei allem mit dabei: im Studio, bei Fam-Feiern, bei Meetings, im Café, bei Veranstaltungen (wo es ging), bei Workshops (auch in der JVA), in Hotels, im Urlaub, im Steuerbüro, bei Freund:innen zuhause, bei allen unseren GlüMo-Prods stets mittendrin, bei unseren Malaktionen, aufm Werk 2-Weihnachtsmarkt, reingeschlichen in Bastis Laden … vom ersten Tag an.

Ja, seinen ersten Tag bei uns startete Amarog – gleich nach dem Abholen – bei Big F in der KarLi mit einem Lipstix-Meeting (authentisch, liebevoll, laut, schrill, emotional und in gewohnter Fam-Atmosphäre). Und an diesem Tag lernte er auch seinen Kumpel Clooney kennen. Und Clooney fand auch einen Kumpel in Amarog. Und wir waren zusammen auf Hundisrunde. Gerade heute beim Tierarzt habe ich viel an Clooney gedacht.

Amarog war immer fordernd, stets „da und an”, auch anstrengend. Wir mussten immer miteinander dealen, wer denn nun der Chef/die Chefin ist, weil er eben ein dominanter Husky war und immer wusste, was so geht und jede erdenkliche Grenze auslotete. Er hatte auch eine voll liebe „Arschloch”-Attitude und war liebevoll herausfordernd und: Ich bin jetzt da – egal wo und in welcher Situation.

Bis Tala zwei Jahre später zu uns kam, waren wir bei Pogo zur Hundisschule. Und Pogo hatte acht Huskys. Was ein Traum. Jede Woche sind wir nach Magdeburg gefahren, mitunter mehrmals wöchentlich. Dann kamen Tala, Jeep, Gerda, Wanda und ein halbes Jahr später Ozzy zu unserem Rudel dazu. Und mitunter waren sechs große Hundis bei uns zuhause, im Studio oder im Garten. Traumhaft. Zu dieser Zeit starteten wir auch unsere großen Hundisrunden mit Thomas, mit vielen Hundis. Und/oder wir gingen mehrmals wöchentlich mit Freund:innen auf Hundisrunde.

Foto: privat

Amarog war so ein wunderbarer Hund und Weggefährte. Und er reißt so ein tiefes Loch und sein Verlust schmerzt so extrem. Ich bin zutiefst dankbar, dass ich heute beim Tierarzt bei ihm war. Ich habe durchweg zutiefst geweint und geschluchzt, habe ihn fest gehalten, ihn angesehen, als er die Augen schloss und das Leben aus ihm herausging. Tala war dabei und spürte, was gerade vor sich geht. Amarog wusste es auch, spürte es, er wurde ruhig und es war okay. Diesen Moment, also diese halbe Stunde, möchte ich keinesfalls missen, weil das so wichtig war fürs Abschiednehmen. Und ich war so froh, dass Dr. D. uns dabei begleitet hat.

Und ich bin dankbar, dass wir jetzt seit Ostern 2020 die Möglichkeit hatten, uns … keine Ahnung, wie ich es beschreiben soll … „darauf einzustellen”, es aktiv mitzuerleben, dass dieser Tag heute kommen wird. Pflege, Betreuung in all den tiefen Facetten die vielen letzten Monate lang haben ebenso dazu beigetragen. Und ich habe sowas wie eine vorgezogene Trauer gelebt, damit ich nicht durch Amarogs Verlust in einen schlimmen Psycho-Zustand falle, in den ich noch vor einem Jahr gefallen wäre. Ich spüre gerade den Verlust, diesen extrem tiefen Verlust, den Schmerz, die dunkle Hölle, den schier nicht aushaltbaren Zustand, die Trauer, die unendliche Liebe, dass er nie mehr da und an meiner Seite sein wird … 

Und ich bin auch wirklich zutiefst dankbar, dass Tala da ist. Und ich werde mir jetzt aktiv Aufgaben geben und Ankerpunkte setzen, um es zu überstehen. Alltag, Struktur, Hundisrunden und GlüMo-Work. Mein nahes Umfeld heute war traumhaft. Ja, wir haben alle zutiefst damit zu kämpfen. Und ich danke euch wirklich sehr, dass ihr alle da seid. Ja, auch via Social Media und PN und WhatsApp und Mail hilft das. Jedenfalls mir heute, auch wenn ich die nächsten Tage etwas unkommunikativer sein werde und nur das mache, was geht und was ich möchte. Ich werde erst mal weiter weinen und weinen und weinen. Und bin froh, dass ich das kann.“

Zweieinhalb Wochen vorher ein Facebook-Post am 3. Juli 2021: Vorgezogene Trauer

„Amarog. Großer Kämpfer.

Und wir genießen wirklich jeden Tag intensiv mit ihm und sind dankbar über jeden Moment.

Wenn ich sonst so etwas – von anderen geschrieben – gelesen habe, konnte ich das emotional nicht ausfüllen und habe es nicht verstanden, weil ich noch nie in so einer derartigen Situation war. Jetzt bin ich es, jetzt verstehe ich es.

Auch in dem Bewusstsein, dass es die nächste Zeit passieren wird, dass er nicht mehr da ist. Und der Zeitpunkt steht noch nicht fest. 

Und gleichzeitig leben wir unseren Alltag – eben angepasst mit Pflege und besonderer Fürsorge.

Auch das sind Worte, die ich erst jetzt gefühlsmäßig mit Inhalten füllen kann.

Ich weiß nicht, ob es stimmt und wie man es nennt, doch irgendwie wurde mir diese Woche bewusst, dass ich seit Monaten in einer Art „vorgezogener“ Trauer lebe. Und ich weiß auch gar nicht, ob es das gibt, weil Amarog ja noch da ist. Und lebt und wir so derart mit seiner Pflege ausgelastet sind, dass quasi für nichts anderes Zeit bleibt.

Die „bewusste Erkenntnis“, dass ich in den letzten Monaten in so etwas wie einer Art „Trauer-Zustand“ gelebt habe, fühlte sich auf eine gewisse Weise befreiend an, auch wenn es mir meine Angst vor diesem extremen Verlust nicht nimmt. Und ich natürlich auch vor allem Angst habe, was es mit mir macht, wenn es denn dann soweit ist: Der Gang zum Tierarzt, die Entscheidung, das Ding mit Grabstätte und allem … und das Danach.

„Befreiend“ war die Erkenntnis über meine „vorgezogene Trauer“ auch deshalb, weil seit Monaten so ein erdrückendes, muscheliges, beklemmendes, für mich nicht definierbares Gefühl da war und ich einfach nicht wusste, was geht. Gepaart mit Angst, Wut, Verzweiflung, Resignation, Lethargie, Schmerz, Leid, Anstrengung wegen Pflege und auch Anstrengung, den Alltag zu meistern und sich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren, Gefühl der Sinnlosigkeit … die gesamte Palette an „negativen“ Gefühlen – aufgrund des bevorstehenden Verlustes. 

Ich glaube und hoffe, dass mir all die Monate wenigstens ein bisschen dabei geholfen haben, mich darauf vorzubereiten, um nicht komplett von Null auf Hundert die extreme Leere zu spüren.

Was ich auch festgestellt habe, ist, dass ich „gezwungen“ wurde, das Gefühl und den Zustand der Trauer intensiv zu leben und zuzulassen. Hier hat sich mein inneres System wirklich extrem gewunden und hat dagegen angekämpft, das also nicht fühlen zu müssen.

Und was die letzte Zeit wirklich auch geholfen hat: mit anderen Menschen darüber zu reden, die das auch erlebt haben. Der Austausch über das Klarkommen, die eigenen Zustände und Gefühle.

Naja, jedenfalls …

Morgen gehts nach Tierarzt und Spritze erst mal zum Hundis-Foto-Shooting, weil mir eine liebe Freundin und Fotografin dringend ans Herz gelegt hat, dass genau diese Erinnerungen wichtig sind.“

4. Juli 2021

Foto-Shooting mit Katrin Lantzsch

Foto: Katrin Lantzsch

Viel später. Facbook-Post am 9. Oktober 2021:

„Ich habe Trauer unterschätzt. Ich habe meine Trauer unterschätzt. Und Welten haben sich bei mir geöffnet, die ich bisher nicht kannte. Von denen ich keine Ahnung hatte. 

Ich bin ziemlich krisenerprobt, was mein Leben betrifft – aufgrund von Erfahrungen und dem Leben. Und in einer gewissen Art auch abgehärtet und robust, weil man das eben mit den Jahren so lernt und sich aneignet. Sich Skills und Überlebensmechanismen aneignet, damit es oki geht.

Ich habe immer gewusst, dass mich der Tod von Amarog extrem tief herunterreißen wird. Und ich hatte so Hölle Angst davor.

Er war seit seiner achten Woche seit 2008 so tief und nah Teil meines Lebens, wir haben so intensiv nah 24/7 Zeit miteinander verbracht, in Interaktion mit allem.

Und er hatte für mich eben auch eine Funktion. Es war für mich so wichtig und lebendig, dass er bei mir ist. Mit seinen Eigenheiten und mit seiner eigenständigen Art, an der ich mich immer gerieben habe und wir komplett jeden Moment alles miteinander ausdealen mussten. Und das haben wir.

Ja, ich weiß, dass es für einige strange klingen mag, dass ich so über meinen Hund Amarog rede. Doch jede:r, der/die einen acht Wochen alten Welpen hat, weiß, wovon ich spreche. Es ist ein Lebewesen mit Bedürfnissen und Liebe und Forderung. Und alles verändert sich, wenn man einen Welpen hat. Ich wollte das 2008 so. Und war auch überfordert, vollkommen, mit einem acht Wochen alten Welpen.

Ja, ich schreibe das gerade aus meiner Ich-Perspektive. Ich hatte natürlich ein traumhaftes Umfeld dabei, jederzeit. Nur schreibe ich gerade von meinen Gefühlen meines Verlusts.

Verlust auch deswegen, weil wir (fast) 13 Jahre intensiv zusammen waren und ich Amarog von klein auf bis zum Alter begleiten konnte, wir waren zusammen, jeden Tag, in allen Situationen. Quasi vom ersten bis zum letzten Windeln. Ja, das beschreibt es vielleicht nicht auf die romantische Art. Doch so ist das eben. Und dazwischen war so viel. Ein gesamtes Leben in allen Facetten – und ich möchte nicht, dass das vorbei und weg ist. Und ich hab auch keinen Bock darauf, dass Amarog vor mir weg ist – und ich sein gesamtes Leben vor mir hatte, auch wenn ich es mit ihm gelebt habe. Ich hatte urspr. nicht angenommen, dass das so seinen natürlichen Lauf nimmt.

Und ich spreche nicht davon, dass es nicht fair ist, dass Amarog nicht mehr da ist.

Ich spreche davon, dass ich ganz persönlich mit seinem Verlust nicht klarkomme, null klarkomme. Und ich nicht weiß, wie das geht. Dafür eben habe ich keine Skills. Keine Erfahrungen, die mich „gelehrt und resistent“ gemacht haben.

Und weil ich mit diesem Gefühl nicht klarkomme, mit meinem Schmerz, mit meiner Trauer, bin ich eben unfair meinem Umfeld ggü., weil ich eine Einordnung brauche, die mir gefühlt niemand geben kann, weil das für mich gefühlt eben nix nützt. Mir kann niemand meinen Schmerz und den Verlust nehmen. Und mir sagen, wie es wieder okay geht, so das Leben, weil alles gerade nur eine undefinierbare Masse ist.

Und ja, ich lebe und agiere und absolviere meinen Alltag. Es fühlt sich für mich eben nur nicht real an, nicht wie mein eigenes, irgwie fremdbestimmt.

Ja, ich muss ran an mein Gefühl. An mein eigenes, damit ich dann an das Gefühl meines Verlustes komme.

Weil ich mir selbst gerade eine strikte, fern-von-allem #nichtgesellschaftsfähig #TodVerlustTrauerLeben-Buch-Produktion-Arbeitsphase verordnet habe, damit wirs fertig bekommen, tut es mir gerade – mal wieder und wie immer – gut, in Produktion zu sein. Dieses gefühlt-und-weil-muss abgeriegelte Universum, in dem so viel geschieht und passiert – für die Produktion, unser gemeinsames Buch. 

Und da nehmen eben auch Texte beim Lektorieren Raum ein, die man schon mal gelesen hat. Die einen dann eben nachts beim Lektorieren im Layout noch mal komplett flashen – und mir eben gerade helfen, um mit meinem Gefühlssumpf klarzukommen und eben auch über meine Fairness meinen Mitmenschen ggü. nachzudenken.

Mandy und Silko haben ihr Baby verloren. Plötzlicher Kindstod. Und sie haben es so nah und emotional beschrieben, dass ich gerade seit 1,5 Tagen an ihre Worte denke, davon nicht mehr loskomme, Teil ihres Empfindens bin, ihrer Lebens- und Erlebenswelt – für exakt diese Situtiation des Sterbens und des Todes ihres kürzlich geborenen Babys.

Und was gut tut. Sie schreiben von sich. Und schreiben nicht von einer heilen Welt. Sie schreiben exakt davon, wie es sich für sie angefühlt hat, dass sie ihr Baby kurz gleich nach der Geburt verloren haben. Und ich kenne jeden einzelnen Moment ihres Textes. Und für beide ist es auch heute noch nicht gut. Und dieser Verlust verändert alles. Komplett alles. Es ist nie wieder gut. Es ist nichts mehr wie vorher, und wird es auch nicht mehr sein. Wer genau das schon mal erlebt hat, weiß, wovon Mandy und Silko schreiben.

Und ich fühle mich ihnen, was sie beschreiben, nah, weil ich in diesem Zustand ebenso gerade bin. Und das Gefühl, dieser Zustand hilft mir gerade.

Um zu guggn, wie ich denn meinen Verlust … klarkriege, aufarbeite, verarbeite, mein Leben lebenswert gestalte … Gefühlt sind das für mich alles nur Phrasen, weil sie mich nicht bedingen. Jedenfalls gerade nicht, weil sie mir keine Skills und Perspektive bieten.

Ich nehme an, ich muss durch eine Hölle durch, meine eigene Hölle, die Phasen durchschreiten, die man nur alleine durchschreiten kann, weil einem da keine:r zur Seite stehen kann. Das ist alles in allem obendrauf ziemlich schmerzhaft. Und es fühlt sich hilflos unverstanden an.

Naja, ich sitze gerade ganz stoisch an unserem Buch-Layout. Und nehme meinen diesen FB-Text einfach mal als eigenen Emo-Text und -Inhalt für unser Buch, damit es juti wird.

Und wir werden eins wieder machen: VÖ vor Weihnachten.

Nur dieses Mal werde ich darauf achten, dass es viel weiter vor Weihnachten passiert, weil ich 1,5 Jahre keine achtsame Auszeit hatte, und ich mir dieses Jahr diese Zeit nehme – zu Weihnachten und Silvester. Weil: Ich möchte nicht nur nah an meine Trauer an Amarog kommen. Ich möchte auch an meine Trauer zu meinem Opi Heinz. Und zu meinem Opi Arthur. Und ich möchte für mich herausfinden, warum Verlust seit meinem Baby-Bett so existenziell für mich und ziemlich bestimmend ist.

Ganz nebenbei stand das Lebens meines Vatis seit ein paar Monaten nah an der Kippe – quasi aus dem Nichts heraus.

Es ist eben die Deadline und die Grenze.

Und meine 87-jährige Omi, die es – trotz dem Tod meines Opis vor vielen Jahren – extrem hart durchzieht, da ist und lebt und leben möchte und ziemlich robust ist. Und dann geht sie eben juti mit 87 auch mal zur Kur.

Und Omi hat noch nie so viel aus ihrem Inneren frei heraus gelacht, wie wenn gerade Akira bei ihr ist. Dieser doch schon große 16-Wochen-alte Husky, der gerade alles auf den Kopf stellt – inkl. Tala.

Und den wirklich das Universum mit seiner offenherzigen, befreienden, quirlig-liebevollen-anstrengend-fordernden Art geschickt hat. Der kleine Schlawiner.

Akira reißt uns gerade aus allem echt raus. Und er berührt unser Herz. Davon ab macht er in seinem/unserem Rudel gerade genau das, was Welpen eben so machen, und insbesondere, was Husky-Welpen machen:

Er ist da und präsent und zuckersüß.

Nur kann er eins nicht, weil das weder seine Aufgabe noch dass es seine Funktion ist: Ich muss anfangen, mich meinen Dämonen des Verlustes bzgl. Amarog zu stellen. Und genau diese Dämonen hatte ich schon immer.

Ich muss meinen Dämonen nicht ins Antlitz blicken. Ich muss einfach nur den Verlust von Amarog an mich ranlassen und guggn, was dann passiert. Und genau davor habe ich Angst, weil es derzeit nicht gepuffert ist.

Ich mach einfach nur das, was ich bisher immer getan habe:

Ich mache weiter Layout und unser Buch und konkret unsere GlüMo-Prods.

Und werde mir irgwann einmal eingestehen, dass ein naher, tief vertrauter Verlust alles verändert. In diesem Fall konkretisiere ich Verlust mit Tod.

Und gerade schläppert Akira wieder in seinem Wassernapf und haut sich neben mich, alles ganz theatralisch, versteht sich, während sich Tala schon mal ins Bett vertrödelt hat, weil die Tage gerade intensiv sind.

Und nachher kommt Mutti, holt Tala+Akira ab, während Vati dabei ist und Auto umparkt und putzt und Wechseldecken reinlegt, und Omi schon mit dem Mittag wartet. Und Akira macht dann eben ganz stylish Punkrock draus.“

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht im Buch „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”.

Foto: privat