„WIR KÖNNEN ODER WIR SOLLTEN DARÜBER REDEN“
Interview mit Sebastian Krumbiegel
von Sandra Strauß

Sebastian Krumbiegel ist Sänger und Frontmann der Band Die Prinzen, Musiker und Solokünstler. Er engagiert sich seit vielen Jahren für Demokratie, Zivilcourage und Bürgerrechte und wurde 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er ist Schirmherr des Leipziger Bündnisses gegen Depression e.V.
Sandra: Warum ist es wichtig, das Tabu zu brechen und psychische Belastungen zu entstigmatisieren?
Sebastian: Wenn du dir ein Bein gebrochen hast, bekommst du einen Gips-Verband, wenn du dir eine harte Erkältung eingefangen hast, Antibiotika. Das ist normal, darüber diskutiert heute keiner mehr. Wenn allerdings deine Seele, deine Psyche verrückt spielt, wenn du mit Depressionen kämpfst, dann ist es nach wie vor so, dass viele das nicht als ernstzunehmende Krankheit akzeptieren. „Lach doch mal!“ oder „Reiß dich doch einfach mal zusammen!“ – solche Sprüche hört man leider nach wie vor immer wieder. Durch prominente Opfer psychischer Erkrankungen wird dieses Thema mehr und mehr in die Öffentlichkeit getragen, und das ist gut so. Robert Enke, der Hannover-96-Torwart, oder Chester Bennington, der Frontmann von Linkin Park – Menschen, die nicht mehr mit ihren inneren Dämonen fertig geworden sind, die es nicht geschafft haben – vielleicht auch, weil sie sich damit nicht an die Öffentlichkeit getraut haben. Jeder von uns hat mit Menschen zu tun, denen es ähnlich geht, auch wenn wir es oft nicht bemerken. Deshalb ist es wichtig, offen darüber zu sprechen. Wir sollten aufhören, diese Dinge zu tabuisieren. Damit helfen wir den Betroffenen und vielleicht sogar uns selbst, denn wir wissen nicht, was alles tief in uns schlummert. Wir können etwas tun, also lasst uns drüber reden!
Sandra: Was hat der Suizid von Chester Bennington oder der von Robert Enke in dir ausgelöst? Welche Empfindungen, Gedanken und Gefühle gingen bei dir damit einher?
Sebastian: Ich hatte Linkin Park vor vielen Jahren bei einem Konzert in Ferropolis live gesehen, und ich fand diese Energie unglaublich. Wenn du dich mit der Musik und auch mit den Texten von Chester Bennington beschäftigst, dann sind der Zorn, die Hilflosigkeit und die Verzweiflung omnipräsent, dann springt dich dieses doch sehr negative Grundgefühl an. Negativ ist vielleicht das falsche Wort, aber diese verzweifelte Wucht, dieser im wahrsten Sinne des Wortes „Schrei nach Liebe“ – das war und ist für mich noch immer das schaurig-schöne Grundgefühl in der Musik von Linkin Park. Als ich mich dann mit der Geschichte der Band und mit dem Werdegang des Sängers auseinandergesetzt habe, passte alles irgendwie zusammen. Traumatische Kindheit mit sexuellem Missbrauch, früh mit harten Drogen in Verbindung gekommen – all das schien sich in der Musik wiederzufinden. Es ist natürlich Quatsch, im Nachhinein zu sagen, dass es folgerichtig war, wie es dann tragischerweise gekommen ist, aber irgendwie habe ich mich doch dabei ertappt. Als die Meldung einschlug, war ich ernsthaft schockiert und habe wirklich getrauert, auch wenn ich ihn gar nicht persönlich gekannt hatte.
Als ich von Robert Enkes Tod erfuhr, kam das für mich damals voll aus der Kalten. Okay – das war lange vor dem Tod von Chester Bennington, und damals war das Thema Suizid oder Depression noch viel weniger in den Medien zu finden als heute, aber ich weiß noch, dass damals alle sagten: „Das hat man ihm doch gar nicht angemerkt. Wie konnte es nur so weit kommen!“. Und genau das ist das Ding: Keiner rechnet damit, das ist das Tückische.
Sandra: Du bist Musiker, Künstler, seit vielen Jahren auf Tour und durch all deine verschiedenen Tätigkeiten durchweg mit vielen verschiedenen Menschen zusammen. Inwiefern und auf welche Art wirst du dabei mit den psychischen Belastungen in deinem Umfeld konfrontiert? Wie gehst du damit um?
Sebastian: Das kann ich so pauschal gar nicht sagen. Einerseits gibt es Freunde, Bekannte und Kollegen, die sehr offen mit diesem Thema umgehen, was ich immer als extrem erfrischend und entwaffnend ehrlich empfinde. Bei vielen Musikern muss man nur auf die Songtexte hören, die erzählen oft mehr als Interviews. Auf der anderen Seite merke ich aber auch immer wieder, dass wir eine Hemmschwelle überschreiten müssen, wenn wir uns diesem Thema nähern, wenn wir nicht nur an der Oberfläche kratzen wollen. Das nervt mich oft, wenngleich ich es auch zu verstehen versuche.
Und genau das ist der Punkt. Keiner kann in den anderen hineinschauen, oder – um es umzukehren – kein Mensch, ganz gleich, ob er psychisch krank ist oder nicht, lässt andere gern zu nah an sich ran, weil wir alle spüren, dass wir uns dadurch angreifbar machen können. Das klingt hart und ich versuche immer wieder, mich zu öffnen, schaffe es aber selbst oft nicht wirklich, weil ich eben doch misstrauischer bin, als ich denke. Oder aber, weil es oft auch sehr anstrengend sein kann, sich wirklich zu öffnen, weil es bequemer ist, sich hinter einer schützenden Wand zu verstecken. Das klingt jetzt eigentlich viel zu heftig – ich denke schon, dass ich ein offener Mensch bin, ich versuche jedenfalls so gut ich kann, NICHT misstrauisch zu sein, und in den allermeisten Fällen war und ist das auch genau richtig so. Okay – manchmal hat es schmerzliche Erfahrungen gegeben, manchmal kommt irgend so ein Mistfink angeflogen und stellt dir ein Bein, aber dann kannst du auch wieder aufstehen und weiter gehen. Ich will nicht, dass mich Angst und Misstrauen leiten, auch wenn das jetzt platt klingt. Dafür zahle ich dann lieber ab und zu mal den unangenehmen Preis, verarscht worden zu sein.
Sandra: Wie können wir Betroffenen helfen? Wie sie unterstützen?
Sebastian: Naja, wir können oder wir sollten darüber reden, wir sollten versuchen, das Thema Depressionen aus dieser komischen Peinlichkeits- oder gar Schmuddelecke zu holen. Oft denke ich, wenn all die Leute, von denen wir immer wieder erfahren, dass sie ihrem Leben gewaltsam ein Ende gesetzt haben, wenn die jemanden gehabt hätten, dem sie sich hätten anvertrauen können, dann hätten sie sicher eine Chance gehabt. Natürlich bin ich kein Hilfs- oder Hobby-Psychotherapeut, aber ich glaube fest daran, dass wir alle dazu beitragen können, etwas zu tun. Und wenn es „nur“ das ist, Menschen, um die wir uns diesbezüglich sorgen, zu ermuntern, sich professionell Hilfe zu holen. Geh doch bitte zu einem Therapeuten oder zu einer Therapeutin, wenn du merkst, dass du alleine nicht klarkommst. Ich komme mir selbst fast schon dämlich vor, wenn ich sage, dass das keine Form von Unvermögen oder Schwäche ist, dass es alles andere als peinlich ist. Das ist es nicht – es ist normal, genauso normal, wie ich bei Zahnschmerzen zum Zahnarzt gehe, wenn ich nicht will, dass es ein böses, schmerzhaftes Ende nimmt.
Sandra: Was können wir und jede:r aktiv tun, um unsere Gesellschaft stärker für das Thema psychische Belastungen zu sensibilisieren?
Sebastian: Ihr könnt euer Buch zu diesem Thema machen. Wir können darüber reden. Wir sollten alle viel offener damit umgehen, dann können wir langsam aber sicher was erreichen.
Sandra: Du bist Schirmherr des Leipziger Bündnisses gegen Depression e.V. Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit? Und was sind deine Beweggründe, dich dafür zu engagieren? Was ist deine Aufgabe als Schirmherr?
Sebastian: Daniel Zeidler, ein Leipziger Psychiater und Psychotherapeut, schrieb mich an und bat mich um Unterstützung. Zuerst war ich etwas zurückhaltend, weil ich dachte, dass das nicht unbedingt zu meinen Kernthemen zählt, aber dann dachte ich, dass das kein Argument ist. Ich bin zwar alles andere als ein Fachmann, was das Thema Depression betrifft, aber ich weiß auch, dass ich das gar nicht sein muss. Wie gesagt – es geht darum, dieses immer noch viel zu oft tabuisierte Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Es geht schlicht und einfach darum, darüber zu reden, von mir aus auch, sich schlau zu machen, sich auszutauschen, damit es für uns alle normaler wird, damit wir nicht schief angeguckt werden, wenn wir erzählen, dass der Freund oder die Freundin, der Vater, die Mutter, der Bruder oder die Schwester sich gerade professionell helfen lassen. Das ist doch eine ganz coole Idee, und wenn du so willst, sehe ich genau das als meine Aufgabe als Schirmherr. Ich bin nicht der Profi, aber ich ermuntere vielleicht andere, die es dringend brauchen, sich einem Profi anzuvertrauen.
Dieses Interview wurde erstveröffentlicht im Buch „Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“.