#nichtgesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen (ZUM GELEIT, Buch)

Illustration: Schwarwel
SEELENFRESSER „bigo++ed_angel“

von Sandra Strauß und Schwarwel

Warum #nichtgesellschaftsfähig und warum genau so ein Buch über den Alltag mit psychischen Belastungen?

Weil es uns ein Bedürfnis ist, weil wir es existenziell und wichtig finden. Und weil nichts von dem, was hier drin steht, uns fremd ist. Also war es nur folgerichtig, dass wir im Oktober 2019 nach dem Endlichkeitsfestival „Stadt der Sterblichen“ und während unserer Arbeit an der Graphic Novel „Gevatter“ dieses Buch kurzerhand auf den Weg brachten – im Rahmen eines typisch ablaufenden Glücklicher Montag-Meetings.

„Wollen wir ein Buch über psychische Belastungen machen? So wie unsere beiden 1989-Bücher, im Almanach-Magazin-Style, mit zwei- bis vierseitigen kurzen Texten, Illustrationen, Comics, vielen Bildern und mit vielen unterschiedlichen Beteiligten und Stimmen?“ „Klar, klingt gut.“ „Okay.“

Und damit fiel sofort auch der Startschuss. Wir schauten uns in unserem Netzwerk um und fragten liebgewonnene und geschätzte Freund:innen und Partner:innen an, die alle sofort begeistert waren und zusagten. Wir entwickelten unser Konzept und die Grob-Inhalte sowie Kapitel auf der Grundlage einer Grafik aus einem Borderline-Buch.

Geplant waren ein paar hundert Seiten, maximal jedoch 388, weil das quasi unsere Seitenzahl-Grenze bei unserer bisherigen Druckerei war. Naja, alles kam ein bisschen anders als geplant. Und wie du siehst, hältst du jetzt einen dicken Wälzer mit rund 600 Seiten in deinen Händen, der aufs Lesen und Erkunden wartet.

Was uns von Anfang an wirklich unglaublich erstaunt und fasziniert hat, war, dass so viele Menschen so positiv und offen auf unsere Themen reagierten. Nicht nur unsere Autor:innen, Interview-Partner:innen, Cartoonist:innen und Comiczeichner:innen, sondern auch viele via Social Media, aus unserem Familien-, Freundes- und Tätigkeitskreis. Wow. Das war und ist Gänsehaut-Feeling pur und zeigt uns, wie wichtig unser gemeinsames Thema ist, persönlich wie gesellschaftlich umfassend – und es greift und wirkt eben in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Und durch die während der Arbeit an diesem Buch aufgetretene Corona-Pandemie-Situation wissen wir alle, dass  sich all das noch einmal intensiviert hat.

Wie ihr selbst gleich auf unseren 612 #nichtgesellschaftsfähig-Seiten lesen werdet, haben wir es zusammen und gemeinsam mit all unseren Beteiligten geschafft, ein Oeuvre an intensiven, gefühlvollen und offenherzigen Texten und Beiträgen zu vereinen, die ihre Wirkung haben, die wirken und nachwirken – mit einem tiefen Blick in unsere Psyche, unsere Seele, in die eigene Wahrnehmung, Erlebenswelt und in das Gefühlsleben. Alles genau so, wie wir es uns von Anfang an vorgestellt hatten.

Illustration: Schwarwel „Soulstrip“

Was nicht unerwähnt bleiben darf: Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das geht ja auch gar nicht bei all der Fülle der angeschnittenen Thematiken und Themenbereiche. Auch sind wir als Herausgeber:innen keine Wissenschaftler:innen, Fachleute, Psycholog:innen oder Therapeut:innen.

Wir wollten ein Buch machen, in dem Betroffene, Spezialisten, Journalist:innen, Angehörige, Vereine, Verbände und Stiftungen zu Wort kommen, die alle ihre jeweiligen Standpunkte und Erfahrungen einbringen sollten und konnten. „Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“ ist ein Buch für Betroffene, für Angehörige, für Freund:innen, Familienmitglieder, Partner:innen, Kolleg:innen und alle, die an den Themen interessiert, Teil dessen oder einfach „in it“ sind. Feel you.

Und ja, es sollte genau diese bunte Mischung werden, die es jetzt ist: ein Kompendium, ein Almanach, ein Magazin, ein Lesebuch und irgendetwas dazwischen mit kurzen Texten, vielen Fotos, Bildern, Illustrationen, Comics und Cartoons von vielen verschiedenen Beteiligten. Denn das ist das, was wir selbst gern in die Hand nehmen möchten: ein dicker Wälzer zum Durchblättern, Immer-mal-zur-Hand-nehmen, zum Reinlesen, wo dich gerade etwas anspringt, und zum Sich-daran-erinnern, dass man über Thema X doch schon mal was gelesen hat: „Ach ja, das stand in dem „Nicht gesellschaftsfähig“-Ding!“

Bei all der Inhalts- und Themenvielfalt konnten und wollten wir die Dinge natürlich immer nur ansprechen und anreißen – die weiterführende Fachliteratur findet man dann in jeder gutsortierten Buchhandlung.

Wir haben auch keine Einheitlichkeit in den Textlängen, der Art der Texte, im Layout oder in der Buchgestaltung angestrebt. Wir wollten individuelle, authentische Texte, Beiträge, Interviews und Bilder. Jede:r sollte sich selbst beim Schreiben, Zeichnen oder Interviewbeantworten wohl fühlen. (Ja, okay, es gab Pi-mal-Daumen-Vorgaben, damit uns das Buch nicht um die Ohren fliegt.)

Persönlich getroffen haben wir uns für dieses Buchprojekt tatsächlich nur ein einziges Mal. Im Dezember 2019. Mit Michael Kraske, dessen Arbeiten als Journalist und Sachbuchautor wir unglaublich schätzen. Wir wollten, dass Michael uns eine Art Einleitungstext schreibt, der dem ganzen den Rahmen und die Klammer geben sollte. Hat er gemacht. Danke, Michael! Ansonsten verlief unsere gesamte Projektkommunikation ausschließlich via Telefon, E-Mail, Chat, Zoom, WhatsApp und whatever – you name it. Herrlich. Für uns und für viele der Beteiligten. In Zeiten von Abstandsregeln hätten wir ohne die „Neuen Medien“ ein Buch wie dieses niemals fertigstellen können.

Unser Ursprungsplan – gefühlt inzwischen unglaublich weit weg – war, dass der öffentliche und offizielle Startschuss zu unserer Buch-Produktion-Crowdfunding-Aktion zur Leipziger Buchmesse im März 2020 stattfinden sollte, da wir dieses Buch (optimistisch wie immer) im Juni 2020 zu veröffentlichen gedachten. Doch dann kam Corona und warf auch unsere Pläne über den Haufen. Die seitdem anhaltende Pandemie-Situation nutzten wir gleich zu Beginn, um mit unseren #dontpanic-Statements neben den ohnehin schon angelaufenen #nichtgesellschaftsfähig-Statements weitere Stimmen zu sammeln, die sich gegen eine Tabuisierung und für eine Entstigmatisierung psychischer Belastungen einsetzen. Die Kurzformen davon findest du überall in diesem Buch, die Langformen findest du auf www.nichtgesellschaftsfähig.com

Uns als Herausgeber:innen hat die ganz konkrete Arbeit an diesem Buch, das Lesen der Texte, das Layout, die Gestaltung und die Kommunikation mit allen Beteiligten und alles Drumherum unglaublich geholfen, einen besseren Umgang zu finden, sich verstanden und in spürbarer Gemeinschaft zu fühlen. Dass all unsere Gefühle und Zustände vollkommen – Achtung, wir schreiben das Wort! – „normal“ sind, weil all das Teil unserer Lebens- und Erlebenswelt ist, Teil von uns und damit Teil unserer Gesellschaft.

Das Machen dieses Buches war für uns also auch eine Art Therapie. So wie wir auch viele andere unserer Glücklicher Montag/Schwarwel-Projekte angehen, sehen, erleben und machen. Sonst würde uns unsere Arbeit auch keinen wirklichen Spaß bereiten, sie käme uns nicht sinnstiftend vor und sie würde uns nicht tagtäglich weiter voranbringen. Learning by doing und so.

Wenn dir unsere #nichtgesellschaftsfähig-Inhalte gefallen oder du wichtig findest, was wir in diesem Buch anzubieten haben, trag es in die Welt. Erzähl deinen Freund:innen davon, deiner Omi, deinen Arbeitskolleg:innen. Egal. Hauptsache, du redest darüber. Lass uns gemeinsam psychische Belastungen weiter enttabuisieren und entstigmatisieren und all die hier angesprochenen Themen intensiver und offener in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Das ist wichtig und es hilft uns allen.

Wir sind gespannt darauf, welche Wirkung unser Buch und seine Inhalte auf dich hat. Deshalb freuen wir uns selbstverständlich über dein Feedback und deine Reaktionen jedweder Art. Nimm gern via Social Media Kontakt mit uns auf. Du findest uns auf Facebook, Instagram, Bluesky, LinkedIn und Mastodon. Oder schreib uns gern an: info@gluecklicher-montag.de

Wir wünschen dir und denen, denen du dieses Buch borgst, einen wunderbaren Lesegenuss und wir hoffen sehr, dass unser Buch eine Bereicherung für dich ist.

Dieser Text wurde erstveröffentlicht im Buch „Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“.