CORONA-TIMES AGAIN
von Schwarwel

„Corona-Times“ für Comic-Salon Erlangen 2020
Als die Corona-Pandemie im Frühjahr in Deutschland so richtig Fahrt aufnahm und dabei auch die Kulturbranche zusammenbrach, bat der Comic-Salon bzw. das Kulturamt Erlangen als dessen Ausrichter Comickünstler:innen, ihre Erfahrungen mit und Gedanken zu Corona zu Papier zu bringen. Die Aktion war als Statement für den sozialen Zusammenhalt in der Kreativbranche, zur Sichtbarmachung all der Probleme, die im Schlepptau der Pandemie daherkamen, und nicht zuletzt als kleine monetäre Unterstützung für die teilnehmenden Künstler:innen gedacht und genoss guten Zuspruch durch die deutsche Comicgemeinde, die bereits im März ahnen konnte, dass der Salon im Juni den Sicherheits- und Hygienekonzepten der Gesundheitsämter von Bund und Ländern zum Opfer fallen würde. Zutiefst bedauerlich, aber völlig zu Recht, wenn es nach mir geht.
Da ich als einer der Ersten gebeten wurde, meinen Comic-Beitrag beizusteuern, ging ich mit den Corona-Erfahrungen an die Arbeit, die ich eben bis Mitte März machen konnte: Irgendwas mit Abstand halten, Maske aufsetzen, Menschenaufläufe vermeiden und immer schön die Hände waschen – da ich das als halbwegs introvertierter Schreibtischtäter mit klinischer Depression und einer Aversion gegen zu viele Menschen an einem Ort sowieso größtenteils so handhabe – vom Masketragen (außer zu Halloween) vielleicht einmal abgesehen –, sah ich also im Prinzip keine allzu großen Einschränkungen meines Alltags, weshalb ich diese Situationen auch so simpel wie möglich in meinem One-Pager darstellte.
Zu dieser Zeit steckten wir bereits tief in der Produktion dieses Buches, viele der uns und mir sehr nahegehenden Artikel waren bereits bei uns eingetrudelt und befanden sich schon im Lektorat. Daneben quälte ich mich durch das vierte Kapitel meiner autobiografischen Graphic Novel „Gevatter“, mit der ich nicht wirklich vorankam, da so ein sehr privater Comic über die eigene Beziehung zu Tod, Sterblichkeit und Verlust, zur eigenen Depression und Angstneurose ziemlich an die Nieren gehen kann, ohne dass man das tatsächlich checkt (Lies: Ohne dass ich das tatsächlich gecheckt habe).
Unsere Studiofenster waren ganztags mit Rollos abgedunkelt – vor allem weil es bisweilen echt nerven kann, wenn Freunde und Bekannte „bloß mal für einen Smalltalk“ an unsere Scheiben im Erdgeschoss klopfen, aber auch weil dieses abgeschottete Gefühl für ebensolche Arbeiten wie „Nicht gesellschaftsfähig“ und „Gevatter“ wichtig ist: Man muss ganz bei der Sache sein, sich hineinbegeben, sich aussetzen, es aushalten und dabei seinen Fokus behalten.
Meine Depression bzw. mein Umgang mit ihr schienen mir ein guter Weg, auch mit sowas wie einer Corona-Pandemie umgehen zu können.
Meine Depression bzw. mein Umgang mit ihr schienen mir ein guter Weg, auch mit sowas wie einer Corona-Pandemie umgehen zu können. Alles voll im Griff. Um Ideen für meine tagespolitischen Karikaturen zu finden, sog ich also jeden Web-Artikel über Infektionszahlen auf, glotzte nächtelang Seuchen-Dokumentationen über Cholera, Pest, SARS, MERS, AIDS und Ebola und verfolgte quasi zu jeder wachen Minute, wie sich die Corona-Pandemie weltweit ausbreitete und wie die Nationen und jeder Einzelne einen Umgang mit einem Virus suchten, dessen Übertragungswege und seine Wirkungsweise im menschlichen Organismus sich nur Stück für Stück offenbahrten und zum jetzigen Zeitpunkt noch immer voller Fragezeichen sind.
Vor „Gevatter“ hatten wir schon mit „1989 – Unsere Heimat“, „Leipzig von oben“ und „1989 – Lieder unserer Heimat“ ein paar Trickfilm-Eigenproduktionen gestemmt, für die ich bereits viel Autobiografisches aus meiner Kindheit und Jugend aus mir gepresst hatte, um damit die Drehbücher mit Handlungen und Leben zu füllen – das waren lange, arbeitsreiche, teilweise echt harte Jahre, auch wenn das Herstellen von Trickfilmen natürlich insgesamt eine wunderbare, äußerst zufriedenstellende Tätigkeit ist: dieses Meditative, die schlichte Ordnung der Dinge, das Ritualisierte, das man braucht, um solche kleinteiligen, hochkomplexen Aufgabenketten zu erstellen und abzuarbeiten …
Da kam Corona eigentlich gerade recht: Endlich keine zeitraubenden, für mich zumeist sehr anstrengenden Meetings mehr, keine zwar schöne, aber auch extrem stressige Dienstfahrten nach Hinterposemuckelsanton, keine Pensionen mit fremden Handtüchern, fremden Zahnputzbechern und fremden Bettlaken … stattdessen Videochats auf der studioeigenen Couch und kurze WhatsApp-Dialoge – herrliche Zeiten für Menschen wie mich!
Zum Kippenkaufen in der Tanke Latexhandschuhe, Mundschutz und ganz viel Abstand. Dann schnell ein paar große Spritzer Desinfektionsirgendwas auf die Hände, trocknen lassen und weiter gehts …
Zu Ostern gab es dann mal ein paar Tage freie Zeit, um das eigene System runterzufahren. Und es fuhr runter. Weiter runter. Und weiter runter. Und dann noch tiefer.
Am Ostersonntag überkam mich schließlich eine Angstattacke, wie ich sie zuletzt in der Zeit meiner Therapiestunden vor sieben oder acht Jahren erlebt und von denen ich angenommen hatte, sie nie wieder durchleben zu müssen, weil sie danach von einem auf den anderen Tag komplett verschwunden waren. Fort.
Ich ging damals danach noch ein paar Tage wie durch zähe, die Geräusche herabdimmende, leicht klebrige Zuckerwatte und dann waren meine tagtäglichen Ängste, die permanente unterschwellige Panik und ein Großteil meiner diffusen Schuldgefühle schlicht und ergreifend: weg.
Ich ging damals danach noch ein paar Tage wie durch zähe, die Geräusche herabdimmende, leicht klebrige Zuckerwatte und dann waren meine tagtäglichen Ängste, die permanente unterschwellige Panik und ein Großteil meiner diffusen Schuldgefühle schlicht und ergreifend: weg.
Doch auch meine überwunden geglaubte Hypochondrie, meine Kontaminationsängste und meine ganzen anderen Macken und Zwänge waren in dieser Ostersonntagnacht mit einem Schlag wieder präsent. In full effect. Alive and kicking. Willkommen zurück in der Hölle.
Am nächsten Tag stand ich bei meiner Schwester in ihrer Eigenschaft als Medizinerin auf der Matte und sie erstversorgte mich mit einem Notfall-Mix aus pharmazeutischen und pflanzlichen Angstlösern, Beruhigungsmitteln und Vitaminen, dazu noch Pülverchen, Öle und Riechdöschen nebst einer kurzen Skillsliste inklusive Instant-Yoga und Glücksbohnen. Das alles brachte mich langsam wieder runter. Aber ganz unten bin ich immer noch nicht wieder.
Corona hat mich nicht traumatisiert, aber es hatte großen Anteil daran, dass ich – zu unachtsam und zu gedankenlos – wieder in Verhaltens- und Gedankenmuster hineinglitt, die meine – öhm, wie soll ich sagen? Zustände? – auslösen. Corona wirkte bei mir wie ein Brandbeschleuniger, der langsam in die Glieder kriecht und plötzlich explodiert wie Nitroglycerin bei der kleinsten Erschütterung.
Die Glücksbohnen habe ich leider verloren, aber alle anderen Hilfsmittel nutze ich bis zu diesem Moment. Die Empfehlungen meiner Schwester für Traumatherapeuten und Psychiater habe ich allerdings noch immer nicht angerufen, da ich das grad einfach nicht leisten kann und auch erstmal nicht will. Stattdessen setze ich auf stabilisierende Routine und Rituale, auf mehr Achtsamkeit und darauf, dass die Sonne durch die Studiofenster fallen kann. Die Arbeit an diesem Buch empfinde ich zwar als kräftezehrend, aber auch vor allem als notwendig und heilsam, die Arbeit an „Gevatter“ läuft erst langsam wieder an.
Sollte also der Comic-Salon bzw. das Kulturamt Erlangen als dessen Ausrichter heute nochmal anrufen, um mich um einen Comic-Beitrag zu Corona zu bitten, würde ich auf jeden Fall einige Seiten mehr brauchen als nur einen One-Pager.
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht im Buch „Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“.

aus „Gevatter – Kapitel Zwei: Zorn“