MIT GEBALLTER PR-POWER GEGEN DEPRESSIONEN

Interview mit Diana Doko und Gerald Schömbs

von Amelie Schwierholz, Freunde fürs Leben e.V.

2001 gründeten Diana Doko und Gerald Schömbs den Verein Freunde fürs Leben e.V. Beide arbeiten als PR-Berater, beide verloren nahestehende Menschen durch Suizid in Folge einer Depression. Dass dies ein großes Tabu-Thema ist, wissen daher beide aus eigener Erfahrung. Schuld daran seien vor allem fehlende Aufklärung und eine Politik, die die Augen verschließe. Deshalb macht sich der Verein die eigene PR-Expertise zunutze, um Projekte vom Flashmob bis hin zum Podcast auf die Beine zu stellen. Alles mit dem Ziel, mehr Bewusstsein für psychische Krisen schaffen.

Im Interview berichten die beiden, wie der Verein arbeitet und warum sie noch lange nicht zufrieden sind.

Amelie: Wer sind Freunde fürs Leben?

Diana: Jedes Jahr sterben in Deutschland circa 10.000 Menschen durch Suizid – davon sind 500 Jugendliche und junge Erwachsene. Freunde fürs Leben wollen das ändern. 

Gerald: Diana und ich haben den Verein 2001 ins Leben gerufen, nachdem wir selbst geliebte Menschen durch Suizid verloren haben. Als Kommunikations- und PR-Experten gehen wir zusammen mit unseren vier Kolleginnen und Kollegen in unserem Berliner Büro der Aufgabe nach, Jugendliche und junge Erwachsene über die Themen Suizid, Depression und seelische Gesundheit aufzuklären. 

Diana: Dabei unterstützen uns Künstler, Prominente und Ehrenamtliche aus den verschiedensten Bereichen wie der Kommunikation, des Designs und der Psychologie, mit denen eine Vielzahl toller Projekte entstehen. 

Amelie: Wie kann man sich das „Depression-Vereins-Leben“ vorstellen?

Gerald: Im Grunde sind wir eine kleine PR-Agentur, die Öffentlichkeitsarbeit für das Thema seelische Gesundheit, Depression und Suizid betreibt. Vom Schreiben von Konzepten über die Planung und Umsetzung verschiedenster Projekte sowie die Veröffentlichung über Pressemitteilungen, Newsletter und Interviews kommt bei uns alles zusammen. Unser Ziel ist dabei immer, Depression und psychische Krisen zu Themen zu machen, über die man spricht, damit diese in den Medien und den Köpfen der Menschen ankommen. In unserem kleinen Team wird Hands-on-Mentalität groß geschrieben. 

Diana: Ich bin immer mittwochs im Vereinsbüro. Dann besprechen wir unsere Projekte. Zusammen überlegen wir uns den Redaktionsplan für unsere Online-Kanäle wie Instagram und Facebook. Welches Themenspecial planen wir? Wie soll das Konzept aussehen? Und natürlich brauchen gerade unser Podcast „Kopfsalat“ und unsere YouTube-Videos viel Vorbereitung. Unser YouTube-Format „Bar-TALK“ ist beispielsweise eine wahnsinnig aufwändige Produktion. Durch Profis wie Sven Haeusler und sein Produktionsteam sieht das Ganze so genial aus. Oft denken Zuschauer deshalb, dass wir finanziell super aufgestellt sind, aber der Verein lebt vor allem von Privatspenden. Depressionen sind leider ein ziemlich unsexy Thema, das z. B. nicht gerade zu einer großen Spendenbereitschaft bei Unternehmen beiträgt.

Amelie: Wie arbeiten Freunde fürs Leben konkret – welche Projekte setzt ihr um? Wie klärt ihr wirkungsvoll auf?

Gerald: Zeigen sich Symptome einer Depression und Hinweise auf Suizidalität, unternehmen Freunde und Angehörige, aus Unwissenheit und Angst etwas Falsches zu tun, oftmals nichts. Im persönlichen Miteinander ist es immer noch ein Tabu, über depressive Phasen und Suizidgedanken zu sprechen. Genau deshalb ist Aufklärung über Suizid extrem wichtig! Freunde und Familie werden zu Lebensrettern, wenn sie über die Problematik Bescheid wissen. 

Durch gezielte Informationsvermittlung über Warnsignale und Hilfsangebote auf unserer Website frnd.de und in unseren Pocket Guides ist Suizidprävention möglich. Auf unserem YouTube-Kanal frnd.tv laden wir prominente Gäste zum Austausch über Krisen und seelische Gesundheit ein. Als Personen des öffentlichen Lebens zeigen sie: Jeder hat Krisen und es ist okay, darüber zu sprechen. 

Diana: Zudem starteten wir Kampagnen wie 600 Leben oder unserer Kunstprojekt Talk!, mit denen wir mit Betroffenen, Angehörigen, Künstlern und Politikern in Austausch treten und mit Aktionen wie einem Flashmob oder einem Kunstworkshop dazu anregen: Redet darüber! So schaffen wir mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz für das Tabuthema Depression in der Öffentlichkeit. 

Amelie: Eure Botschaft ist „Rede darüber.“ Nun redet ihr selbst häufig über euer familiäres Schicksal. Ist das noch Teil des Verarbeitens oder wühlt es nicht auch immer wieder auf?

Diana: Ich muss zugeben, dass es mich manchmal nervt, wenn Medien mich auf den Suizid meines Bruders ansprechen. Zu gern wird die Geschichte zum Auslöser unseres Engagements erklärt. 

Gerald: Das Ganze kam durch den Suizid meiner Freundin zwei Jahre später ins Rollen. Diana und ich haben uns damals viel über unsere Erfahrungen ausgetauscht und erkannt, dass psychische Krankheiten ein Tabu-Thema in der Gesellschaft sind und es kaum Informationen gibt. Wir kommen beide aus der PR und wollten uns des Themas annehmen. Der Verein entstand aus einer politischen Forderung heraus.

Diana: Ich habe nach dem Tod meines Bruders eine Therapie gemacht. Mein Engagement für den Verein mache ich nicht, um mich selbst zu therapieren. Dafür ist die Arbeit zu anstrengend. Jedes Jahr denke ich ans Aufhören, weil wir immer wieder gegen Wände laufen. Doch wir setzen uns einfach schon zu lange dafür ein, dass das Thema auf die gesundheitspolitische Agenda kommt. Insofern ist Aufhören keine Option für mich. Ich hoffe, dass unsere alltägliche Arbeit im Verein dann auch mal von offizieller Stelle gefördert wird. 

Amelie: Wie hast du die Trauerphase erlebt und überlebt, ohne selbst psychisch krank zu werden?

Diana: Man muss sich helfen lassen. Jeden kann es treffen und jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf schwere Situationen. Mein Bruder hat sensibler auf seine Umwelt reagiert. Ich bin bestimmt kein emotionsloser Mensch, doch mir können Probleme nicht so schnell etwas anhaben. Trotzdem bin ich nicht immun und wenn ich mal strauchle, gehe ich auch heute noch zu meiner Therapeutin und versuche, so gut es geht vorzubeugen. Ich achte auf mich und meine Gefühle. Es mag abgedroschen klingen, aber Sport oder Meditation helfen mir auch sehr.

Amelie: Seit 2001 wollen Freunde fürs Leben mehr Akzeptanz für die Tabu-Themen Suizid und Depression in der Öffentlichkeit erzeugen. Kannst du eine Entwicklung in dermöffentlichen Debatte erkennen?

Gerald: Durch unsere Arbeit an Schulen haben wir gemerkt, wie schlecht es um das Wissen über die Erkrankung steht. Selbst Erwachsene wissen nicht, woran man eine Depression erkennt, geschweige denn, an wen man sich wenden kann. Die Debatte wird immer medial begleitet, sobald sich ein Prominenter das Leben nimmt. Kurze Zeit später wird es dann wieder still. Niemand will das Thema so wirklich anpacken. Insgesamt erscheint es medial präsenter, aber nur in einer kleinen Blase wird wirklich darüber geredet.

Amelie: Inwiefern helfen ein paar Videos, Instagram-Posts und Podcasts den Betroffenen?

Gerald: Wie Diana gerade erläutert hat, hat sich das Schritt für Schritt entwickelt. Angefangen hat es damit, dass uns aufgefallen ist, dass es gar keine Webseite zu dem Thema gab, auf der Betroffene schnell und übersichtlich Informationen bekommen. 

Also gestalteten wir unser Infoportal frnd.de. Doch das Nutzungsverhalten hat sich weiterentwickelt. Jugendliche surfen weniger im Internet, verbringen lieber Zeit auf YouTube. Es folgte also ein Videokanal, dann Facebook, Instagram und schließlich der Podcast. Mittlerweile erreichen wir täglich Tausende von Menschen, die auf den Kanälen entsprechend reagieren. Das zeigt, dass der Bedarf da ist. Die Menschen wollen sich austauschen und mehr darüber wissen. Das Feedback beweist, dass unsere Arbeit wichtig ist.

Amelie: In der Altersgruppe 15 bis 29 Jahre ist Suizid die zweithäufigste Todesursache. Als Dozentin für Marketing und PR in Berlin kommst du selbst mit vielen jungen Menschen in Kontakt. Warum ist diese Altersgruppe so gefährdet?

Diana: Durch meine Tätigkeit an der Uni merke ich: Es ist einfach zu viel. Alles. Nicht unbedingt nur das Lernen, sondern z. B. die neue Stadt, neue Freunde, neues Umfeld, zu viel Party und Drogen. Es ist eine Überforderung auf vielen Ebenen. Die heutige Generation bekommt wahnsinnig viel Input von außen. Dauernd muss man präsent sein – auch medial. Dazu kommt eine Zukunftsangst, die aus meiner Sicht auch von vielen Erwachsenen zusätzlich genährt wird. Vor kurzem erzählte mir eine Journalismus-Studentin, dass ein Kollege in der Vorlesung vom Aussterben des Journalismus sprach. Was soll das? Unsere Aufgabe als Dozenten ist es, Ängste zu nehmen und den Studenten Lust auf die Arbeitswelt dort draußen zu machen.

Amelie: Depression und Burn-out sind auf der einen Seite in aller Munde, fast ein Trend-Begriff. Gleichzeitig aber auch Tabu-Thema. Wie kommt es zu dieser Ambivalenz?

Diana: Gute Frage. Auf der einen Seite beschäftigen sich gerade alle mit Selfcare, Selbstliebe, Yoga, auf der anderen Seite fällt es immer noch schwer, über die eigenen Gefühle zu reden. Man kennt das vielleicht, wenn man mit Freunden Essen geht. Viele sind so sehr auf ihren Marktwert bedacht, dass sie Rollen spielen, die gar nicht der Realität entsprechen.

Amelie: Unter den Instagram-Posts liest man immer wieder Kommentare von offensichtlich psychisch labilen Menschen. Oft scheinen sie zu glauben, bei euch Hilfe finden zu können. Wie geht der Verein damit um?

Gerald: Natürlich beschäftigen wir uns mit den Kommentaren auf unseren Kanälen. Wenn der Eindruck entsteht, dass jemand Hilfe benötigt, schreiben wir die Person direkt an. Dies öffentlich in den Kommentarspalten zu tun, halten wir nicht für richtig. Bei ernstzunehmenden Suizid-Ankündigungen wenden wir uns an die Polizei. Ansonsten wollen wir aber vor allem einen Austausch untereinander fördern. Eine Belehrung von oben herab hilft da nicht weiter.

Amelie: Im Jahr 2003 entstand das Deutsche Bündnis gegen Depressionen. Prominente Persönlichkeiten wie Samy Deluxe und Sarah Connor sprechen öffentlich über Therapieerfahrungen. Machen wir in Deutschland nicht schon einen ganz guten Job? Braucht es da noch eine staatliche Kampagne?

Diana: Machen öffentliche Stellen wirklich einen guten Job? Es ist doch eher so, dass nicht einmal das Grundwissen existiert, ab wann man wohin gehen sollte, um Hilfe zu bekommen. Warum wird in den Schulen über Alkohol- und Drogenmissbrauch aufgeklärt, aber nicht über psychische Krankheiten? Dabei stehen Abhängigkeiten in sehr engem Zusammenhang mit mentaler Gesundheit. 

Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es bis heute keine Aufklärungsmaterialien zu den Themen Depression und Suizid. Das ist absurd, wenn man sich mal die hohen Zahlen der Suizide in Deutschland anschaut. Und gerade deshalb gehört neben unserer inhaltlichen Arbeit auch sehr viel Lobbyarbeit dazu. Wir treten in Kontakt mit Politikern, Verbänden und anderen Organisationen, um für unser Anliegen Gehör zu finden. 

Amelie: Was ist eure Vision? 

Gerald: Wir haben die Vision einer aufgeklärten Gesellschaft, in der offen über psychische Krisen gesprochen wird. Dazu zählt auch ein gutes Netzwerk für Betroffene, in dem sie auf schnelle Hilfe zurückgreifen können. 

Diana: Wie toll wäre es, wenn junge Menschen über gesundheitsfördernde Faktoren wie Resilienz und Bewältigungsstrategien bereits in der Schule informiert werden. 

Gerald: Durch unsere Aufklärungsarbeit und das Mitwirken vieler Institutionen sehen wir eine Gesellschaft, in der Wissen über vorbeugende Maßnahmen und Hilfsmöglichkeiten besteht und damit auch weniger Entscheidungen für Suizid getroffen werden.

Amelie: Zum Abschluss: Was ist euer Tipp im Umgang mit Freunden, die Hilfe brauchen?

Diana: Bei dem Verdacht, dass ein Freund oder eine Freundin an einer Depression leidet oder Suizidgedanken hat, ist der erste Schritt der aktiven Hilfe ZUHÖREN. Oft denken wir, dass gute Ratschläge und ein Schulterklopfen helfen. Tatsächlich sollte man den Freund oder die Freundin erst einmal sprechen lassen und vor allem ernst nehmen. Wichtig ist – auch wenn es nicht einfach ist –, direkt nach konkreten Suizidgedanken zu fragen. 

Ein Problem, mit dem man selber gut zurecht kommt, kann für den Freund oder die Freundin nicht leicht zu lösen sein. Deshalb ist es so wichtig, immer wieder Gesprächsangebote zu machen und in Ruhe mit dem Freund oder der Freundin zu überlegen, wo er oder sie sich Hilfe holen kann.

Gerald: Wichtig ist auch, dass man mit der Suizid-Ankündigung, von der man gehört hat, nicht alleine bleibt. In dem Fall sollte man Ansprechpartner wie Eltern, Lehrer oder Beratungsstellen hinzuziehen. Denn gute Freunde helfen sich in der Not – sie müssen die Last aber beidseitig nicht alleine tragen. 

Dieses Interview wurde erstveröffentlicht im Buch „Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“.